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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Schritte. Der Sheriff tat seine Arbeit, dann sagte er: «I don’t wanna give ya a hard time.» Er habe nur seine Pflicht getan, setzte er halb entschuldigend hinzu und warnte mich: «Es ist gefährlich, allein auf der Straßeunterwegs zu sein. Steigen Sie vorn ein, den Rucksack tun Sie nach hinten.» Er blieb auf der Hut, den Rucksack hatte er nicht durchsucht. «Ich bringe Sie bis zur County-Grenze, weiter darf ich nicht.» Ich tat, was er sagte. Nach ein paar Meilen hielt er, ließ mich weitergehen und wünschte mir Glück. Ein vorsichtiger, aber hilfsbereiter Mann, ein freundlicher Handschlag.
    Ein anderes Auto überholte uns derweil und hielt ein Stück weiter an, offenbar im Nachbar-County. Ich lief die paar Schritte und war nicht wenig verwundert, am Steuer einen jungen Priester zu sehen. Er stieß die Beifahrertür auf und bedeutete mir einzusteigen. Der Sheriff wendete, der Priester gab Gas. Er müsse sich beeilen, sagte er, er habe eine Messe, sein Name sei Pater Edward. Auch er hielt mir einen Vortrag über die Gefahren dessen, was ich tat. «Es ist gefährlich für beide. Anhalter überfallen Autofahrer, die sie mitnehmen, Autofahrer rauben Anhalter aus. Wer hier zu Fuß unterwegs ist, ist entweder verwirrt oder bettelarm. Geben Sie auf sich acht!»
    «Ja», sagte ich, «für die zwei oder drei anderen, die ich in den letzten Monaten auf der Straße gesehen habe, hätte ich niemals angehalten, wäre ich ihnen als Autofahrer begegnet.»
    Es war, wie es war, es interessierte mich nicht. Er interessierte mich. Ein Mann in den Dreißigern, hellwach, mit glattem Gesicht und guten Manieren – eher ein junger Anwalt aus einem modernen, großstädtischen Büro als ein Priester. Warum dachte ich das über ihn? Ich kannte den Typus. Schnell im Kopf und in den Dingen, die getan werden mußten, nie laut, nieunangenehm, auf eine weiche Art professionell bis ins Private. Und in all das eine kaum merkliche, schwer faßbare Trauer gemischt, nur ein Gramm, aufgelöst in einem großen, klaren Glas Geistesgegenwärtigkeit.
    «Warum sind Sie Priester geworden?»
    «Oh, ich bin spät Priester geworden, daran habe ich früher nie gedacht.»
    «Warum also?»
    «Bestimmte Erlebnisse – praktische, spirituelle.»
    «Welche?»
    «Ich hatte das Sonnenerlebnis. Ich sah die Sonne, und sie wurde rot, nahm die Form eines Herzens an, pumpte wie ein Herz, schlug wie ein Herz, dann wurden zwei Herzen daraus, die verbunden waren, dann wurde alles weiß. Ich war mitgenommen davon und fragte mich, was los war. Das war in Medjugorje in Jugoslawien. Ich ging in die Kirche, vor das Allerheiligste. Plötzlich raste mein Herz, immer schneller, ich dachte, gleich explodiert es. Danach weinte ich heftig. Ich fühlte Gottes Liebe, noch nie hatte ich solche Liebe gefühlt. Noch nie hatte ich so etwas erlebt. Ich hatte vorher gebeichtet, und der Priester hatte mich gefragt: Warum bist du hier? Ich sagte: Ich weiß es nicht. Er sagte: Vielleicht willst du Priester werden? Heute weiß ich manchmal nicht, ob das alles wirklich so war. Aber dieses Erlebnis, dieses Liebeserlebnis, das war so.»
    Wir schwiegen. Er war weiter gefahren, als er eigentlich gewollt hatte, er mußte ja zu seiner Messe, aber das Gespräch wäre dann unterbrochen worden. Als ich ausstieg, sagte er, er werde für mich beten. Ob auch ich für ihn beten könne? Ich nickte.
     
    Der vierte Tag war das ganze Gegenteil des dritten. Keine Tür öffnete sich, niemand hielt, nur wenige Autos waren auf der Landstraße unterwegs. Früh ging ich los und lief bis in den Abend, wieder durch abgebranntes, schwarzes Land, später dann durch eine bewaldete Gegend. Feuer und Wind erhielten die Prärie, hatte jemand in Cottonwood Falls gesagt. Was heute die Farmer täten, hätten in alter Zeit die oft verheerenden Präriebrände besorgt, ausgelöst durch Indianerfeuer oder durch Blitzschlag. Ich roch stark nach Feuer und Brand, Hemd, Hose, Haar, alles, die Luft war erfüllt davon.
    Plötzlich fühlte ich eine Tierschnauze in der Kniekehle. Hunde. Ich jagte sie fort. Der Himmel war wolkig, auch das kam von den Präriefeuern. Ich hielt mich an meinem Etappenziel fest, einem Ort namens Bazaar, aber ich fand ihn nicht. Gar nichts fand ich, denn es gab gar nichts, kein Rasthaus, keine bewohnte Siedlung. So jäh wie die Hundeschnauze war das Trompeten eines Güterzuges da, ich hatte es lange nicht gehört. Jetzt sah ich den Zug, er tauchte auf, fuhr nahe vorüber, verschwand, Waggon für Waggon, es

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