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Hartland

Hartland

Titel: Hartland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Buescher
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Bewegung mit der hohlen Hand vor seinem Becken, prustete wieder los und sah mich an wie einer, der einem Schicksalskumpanen ein unverhofftes Geschenk hinwirft, einen fetten Bissen, und ihn beobachtet, wie er sich darüber hermacht, gierig nach der Gier im Gesicht des andern: «Man, he’s sitting in there – he’s jerking off, man!» Ich sah sein erregtes, erhitztes Gesicht, und plötzlich wußte ich, wo dieser kahlrasierte, knochige Junge herkam – aus dem Knast. Es war die Erregtheit und Erhitztheit und das jederzeit Spionhafte, wie es in der erzwungenen Intimität der Anstalten und Gefängnisse gedeiht.
    Ich hatte genug gesehen und stieg wieder in den Bus, um die Entwicklung der Dinge in meinem Sitz abzuwarten. Eine dicke Frau in Cowboystiefeln schnarchte hemmungslos. Ein Mann wiederholte zum wer weiß wievielten Mal seinen Schwur: «Never put me on a damn bus again, never ever!»
    Jetzt erschien der Busfahrer und rief: «Eine Stunde, dann kommt der Ersatzbus. Ihr habt Glück, in Oklahoma City ist zufällig ein Bus frei, sonst stündet ihr noch heute nacht hier!» Und nun, da klar war, es würde noch dauern, aber ein Ende haben, machte auchdie kleine Schicksalsgemeinschaft es sich wieder im Bus bequem, das Bedürfnis nach Unterhaltung nahm seinen Lauf.
    Eine Frau, weiß, das Mobiltelefon am Ohr, zu einer anderen, schwarz: «Hier ist deine Stiefmutter, ich soll dir sagen, dein Vater kommt dich abholen, sie selbst sitzt fest.»
    Die Schwarze: «Ich will sofort nach Oklahoma City, mein Enkel hat Krebs, er ist fünf.»
    Die Weiße: «O Gott, das tut mir leid.»
    Die Schwarze: «Meine Tochter kriegt ein Baby nach dem anderen, dabei ist sie spindeldürr. Ich sage ihr, hör auf, kümmere dich um die acht Kinder, die du schon hast.»
    Die Weiße: «O ja, eine Bekannte hat nach der Geburt einen Hirnschlag gekriegt. Ihr Mann ließ sich von ihr scheiden, und sie durfte nicht mehr mit ihren Kindern zusammen sein, weil sie nun geistig behindert war.»
    Die Schwarze: «Das ist nicht recht. Sie hat sie doch geboren.» Und leiser: «Es ist bei der Geburt passiert, dafür kann sie nichts.» Noch leiser, zu sich selbst: «That’s life.»
    Die Weiße: «Ich hätt gern ein Bier.»
    Die Schwarze: «Ein kaltes Bier, ja. Vielleicht erstatten sie uns das Fahrgeld zurück.»
    Ein Mann: «Ich wünschte, ich wäre jetzt Jesse James.»
    Die Weiße: «Jesse James war ein Outlaw.»
    Der Mann: «Aber er hatte ein Pferd.»
    Die Weiße: «Können wir die Fenster aufreißen?»
    Der Mann: «Dann könnte ich zu einer Bar reiten. Oder zu einer Peepshow.»
    Eine andere Weiße mischte sich ein. Als sie ihr Haar neu zum Pferdeschwanz raffte und mit einem Gummi hochband, kam ihre Nackentätowierung zum Vorschein, dabei erzählte sie von ihrer Gefängniszeit im Staate Kansas. Der Mann, der Jesse James sein wollte, trumpfte seinerseits mit Knasterfahrungen auf, in seinem Bericht kamen mehrere zerschlagene Nasenbeine vor, das Nasenbeinbrechen schien eine Spezialität von ihm zu sein. Als er den nackten Arm auf die Sitzkante legte, fiel mein Blick auf die Tätowierung am Handgelenk. Sie stellte von der Hand wegstiebende Funken dar, es sollte wohl heißen, seine Faust sei schnell wie eine Rakete, wenn es darauf ankomme.
    Zwischen ihm und der Pferdeschwanzfrau hob nun ein Streit darüber an, welches Gefängnis die besseren Zellen habe. Die Frau schwor auf den Knast von Wichita. Den hatte ich gesehen, ich war daran vorübergegangen, ein flacher Komplex, gepflegter Rasen, Parkplatz, Zaun, wer es nicht besser wußte, mochte dort ein Gewerbe vermuten oder eine Behörde. Der Mann widersprach der Wichita-Anhängerin vehement, längst war jedes zweite Wort
fuck.
    Heiß und stickig war es im Bus, jeder riß sich vom Leib, was er nicht anbehalten mußte. So ziemlich der ganze Bus war nun in den Erfahrungsaustausch eingestiegen. Kein Zweifel, so gut wie alle hier kamen aus dem Knast oder hatten früher mal gesessen. Ich war der einzige, der schwieg, den Moment erwartend, in dem sich alle Augen dem stillen Zeugen zuwenden würden, neugierig, spöttisch, drohend: Was ist eigentlich mit dir?
    Gut zwei Stunden vergingen. Dann, als tatsächlich der Bus in die Parkbucht bog, der uns hier herausholen sollte, als er hinter uns hielt und sich seine Türen öffneten, da flog alle Hitze, aller Durst, alle Knastexpertise einfach davon, da brach der Jubel der erlösten Gemeinde los: «Thank you, Jesus! Thank you, Lord!» Und auf ging’s nach Oklahoma City.
    Glücklicherweise

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