Haschisch
durch die Luft fliegen sehen.
Mit zerschlagenen Gliedern kamen die Damen unten an. Schwindlig versuchten sie sich zu erheben und hinkten ein wenig umher. Ringsum schien indessen das Feuer wie erloschen zu sein. Ein wenig verlegen blickten sie über die Haufen von Gliedmaßen und zerschlagenen Geräten. Sie wußten gar nichts damit anzufangen. Und eben hatte man doch noch so ein mutiges Gefühl gehabt. Es ging doch etwas Tolles vor, wo man sich hatte hineinstürzen wollen; und nun, als man unten ankam, war alles aus. Wie gern hätten diese Damen einige kleine Freuden der Grausamkeit genossen! Der Mut war ihnen aber wohl zu spät gekommen. Manchmal krallte sich oder stach noch eine Hand im Todeskrampf nach diesen zarten weißen Körpern, die wie Miniaturwalküren auf dem Schlachtfeld umherwandelten. Bisweilen brachte ihnen sogar ein Finger noch eine mittelmäßige Wunde bei, und da stießen sie nette, kleine, verzückte Schreie aus, wie gut gezogene Kinder, die mit kaltem Wasser gewaschen werden und schlotternd rufen: »Hu ... wie warm.«
Die Damen sahen traurig ein, daß sie zu spät gekommen waren, und nun traten gar Diener mit Schaufeln in den Saal. Die nackten Marquisen drückten sich verschämt in die Ecken und hielten die Hände über Brust und Schoß. Die Diener öffneten die Fenster und schaufelten die Überreste dieser Feierlichkeit hinaus. Unten im Hofe sah man im ersten Morgenlicht bleiches Menschengebein, das von früheren ausgelassenen Stunden des Grafen Gilles de Laval zeugte. Die Marquisen aber schlichen betrübt und verschämt durch ein Seitenpförtchen hinaus. Sie bereuten, sich ungeschickt benommen zu haben. Die armen Damen hatten sich umsonst entblößt.
Auf der Galerie waren die Zurückgebliebenen in ermattetes Schweigen versunken. Man kam langsam wieder zu Atem. Einige mahnten zum Aufbruch und erhoben sich, Händedrücke wurden getauscht, Verabredungen für den folgenden Tag getroffen. Einige Unermüdliche wollten noch soupieren gehen. Der Graf von Saint-Germain, den man unter keinen Umständen losgeben wollte, entschuldigte sich lächelnd. Er müsse nach Hause fahren, da er noch in dieser Nacht einige Kapitel aus dem Akshara Para Brahma Yog übersetzen wolle. Gegen solche Gründe des gelehrten Grafen pflegte man niemals Einwände zu machen, und so verabschiedeten wir uns von diesen höflichen Leuten.
»Haben Sie etwas bemerkt?« fragte mich der Graf, als wir auf der Straße waren.
»Sehr viel«, erwiderte ich.
»Ich meine, haben Sie bemerkt, daß ich selbst Gilles de Laval bin? So heiße ich im fünfzehnten Jahrhundert.« Triumphierend blickte er mich an.
»Unmöglich! Sie waren doch die ganze Zeit auf der Galerie. Sie sprachen von London ...«
»Einen Augenblick allerdings. Können Sie sich aber erinnern, Gilles und mich nur eine Sekunde lang gleichzeitig gesehen zu haben?«
»Das nicht, aber ...«
»Sehen Sie ... Nächstens lade ich Sie zu einem Flagellantenzug nach Italien ein.«
Er half mir in einen Wagen, wo ich sofort einschlief.
*
Als ich wieder erwachte – ich glaubte länger geschlafen zu haben, als vorher mein ganzes Leben gedauert hatte –, stand eine Schale mit Früchten vor mir, die ich äußerst heftig begehrte, ohne die Kraft zu finden, danach zu greifen. Tränen traten mir in die Augen. Ich fühlte Abscheu vor meinem eigenen Leben, dessen trost- und gedankenlosem Wirbel ich wie durch ein Wunder entronnen zu sein geglaubt hatte.
Diese unerreichbaren Früchte würden mir Gesundung bringen, reine leicht zu erfüllende Wünsche an Stelle fieberhafter Gelüste. Es hatte mich jemand wohlmeinend, aber etwas derb von einem Abgrund gerissen, vor dem ich nichtsahnend stand.
»Wissen Sie nun, wo Sie sind?« fragte lächelnd Alta-Carrara, der mir gegenüber gleich wie ich auf einem Diwan lag.
In dem Zimmer unterhielten sich mehrere Herren. Einige fragten nach meinem Befinden und gaben mir Ratschläge.
Sie waren dabei, dachte ich, als ich mein Leben zwecklos in künstlichen Sensationen vergeudete.
Dennoch freute ich mich, ungekannte Gefühle in mir zu entdecken, etwas wie Reue. Ich spürte einen bitteren Geschmack, wenn ich an mein Leben dachte, das sich auf eine glühende Einbildungskraft und einen fieberhaft zerlegenden Verstand gegründet hatte.
Es mußte jemand meinen Wunsch erraten haben, denn ich fühlte die kühle Herbheit eines Apfels dicht an meinen Lippen, biß hinein, und mir war, als witterte ich junge Morgenwinde um mich her. Ich erkannte die Notwendigkeit
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