Haschisch
eines neuen Lebens – ohne den verhaßten Rausch, der noch in mir war. Ich verlangte schwere Aufgaben. Leiden müßte ich erdulden, sie unumwunden vom Schicksal fordern, das mich dadurch um das Beste im Leben betrogen hatte, daß es mir keine Leiden sandte. Ich schämte mich fast. Und doch freute ich mich über die Seltenheit einer solchen Empfindung in einer Seele wie der meinigen.
Alta-Carrara aber begann mit halblauter Stimme zu erzählen:
Karneval
Vor dreißig Jahren, als ich noch die ersten Lektionen in der Schule des Vergnügens empfing, versuchten einmal einige venezianische Nobili eine hübsche Karnevalssitte des achtzehnten Jahrhunderts wieder aufzufrischen. Man versammelte sich in der letzen Nachtstunde, als die ersten hellen Schimmer über den Lagunen erschienen, auf der Erberia, und es galt für sehr elegant, möglichst verwüstet auszusehen. Man kam in zerrissenem Maskenkostüm, schlaffe Blumen hingen in dem losen Haar der Frauen; die bleichen Wangen, die flackernden Augen, sollten den Mitmenschen von phantastischen, noch vor einer Viertelstunde genossenen Räuschen erzählen. Man liebte es, die Eifersucht und Mutmaßungen der anderen zu erwecken und ihnen zu zeigen, daß man darüber zu lachen verstand. Es braucht dem Kenner des menschlichen Herzens kaum betont zu werden, daß viele der Ankommenden weder aus dem Ballsaal, noch vom Spieltisch, noch aus verschwiegenen kleinen Kabinetten kamen, sondern daß sie sich soeben aus dem Bett erhoben, sorgfältig ihre nachlässige Toilette vorbereitet hatten und der Mode ihren Morgenschlaf opferten. Ich hatte die Nacht in der Sala del Ridotto verbracht, viel getanzt, gespielt und getrunken. Meine Huldigungen galten besonders einer Dame mit gelbseidener Maske. Ihre Stimme hatte einen wundervollen warmen Flüsterton. Sie wußte sich weich anzuschmiegen und ließ unter der Spitze der Maske große weiße Zähne glänzen. Ich war achtzehn Jahre alt und hielt sie mindestens für eine verkleidete Herzogin.
»Führ mich zur Erberia«, bat sie mich gegen Morgen, und ich überschritt mit ihr die leere dunkle Piazza. Wir mischten uns unter die lachenden Paare, die am Ufer des Kanals bei der Erberia auf und nieder wandelten.
»Marchesina, ich kenne dich«, rief ein Maskierter im Vorbeigehen meiner Dame zu.
Doch nur eine Marchesina, dachte ich.
»Wo ist Ersilia?« fragte im Vorbeistreifen eine Pierrette.
»Krank, sehr krank«, erwiderte meine Begleiterin.
Es legten viele Kähne an der Erberia an, die Nahrungsmittel für den Markt brachten. Eine lachende Kurtisane kaufte einer Bäuerin aus Chioggia für ein Goldstück rauchende Morgenkohlsuppe ab, deren Duft alle Umstehenden lüstern einsogen.
»Mich friert«, flüsterte meine Freundin Dolcisa, »komm mit mir nach Hause! Du gefällst mir.«
»Wer bist du?« fragte ich fast sprachlos vor Überraschung. Bis dahin hatte ich allen Grund gehabt, in meiner Begleiterin eine etwas ausgelassene Dame der Gesellschaft zu vermuten.
»Du bist dumm!« Ihre dunklen Augen blitzten unter der Maske. Sie zog mich in eine Seitengasse.
»Bist du wirklich eine Marchesina?« wollte ich verlegen wissen.
»Lächerlich, ein Spitzname.«
»Wer ist Ersilia?« forschte ich nach einer Pause.
»Ach, die arme Schwester Ersilia«, seufzte sie, doch nicht sehr ergriffen, »sie muß sterben, sie flüstert mit ihrer Heiligen und sieht nicht, was wir tun.«
Ich erschrak, ohne nachzudenken, warum.
»Ich bin ein gutes Mädchen«, fuhr sie fort, »ich schenke nicht allen meine Liebe, aber ich bin arm.«
Nun glaubte ich zu wissen, woran ich mich halten konnte. Ihre offene Harmlosigkeit entzückte mich.
Kühle, feuchte Morgenluft umwehte uns. Wir gingen schweigend durch die finsteren Gassen und überschritten zahllose schmale Kanäle. Dolcisa wollte um keinen Preis eine Gondel nehmen. Niemand begegnete uns.
Schließlich traten wir in eine Lichtung auf einen kleinen Platz. In der Ecke starrte ein finsterer alter Palazzo. Dolcisa schloß ein wild verschnörkeltes Seitenpförtchen auf und schob mich hinein. Um uns war stickiges Dunkel. Wir gingen über viele krachende, ausgetretene Stufen. Vor einer Tür standen wir still.
»Erwarte mich hier«, flüsterte sie, »laß mich zuerst in die Kammer gehn und die Kleider wechseln.«
Sie küßte mich im Dunklen und trat in die Tür. Ich ging an ein Gitterfenster, durch das die erste Dämmerung in den engen Treppenraum drang. Mein Blick fiel in einen zerfallenen, ehemals gewiß sehr prächtigen Palasthof.
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