Haschisch
ob sie sich gegenseitig zu irgend etwas ermutigten. Man zögerte noch, aber in jedem Augenblick konnte die Wut ausbrechen.
»Das ist die Revolution!« rief ich entsetzt. »Diese Bauern werden uns töten. Saint-Germain macht sich über uns lustig, er will uns alle auf der Guillotine sehen.«
Empört und mit unsäglicher Verachtung blickte man sich nach mir um, wie nach einem, der die erregende Vorstellung einer Tragödie durch Nüsseknacken stört.
»Das ist die Revolution!« rief ich wiederholt.
»Und wenn auch«, sagte die Marquise, der mein Geschrei nun doch zuviel wurde.
»Damit machen Sie ihnen keine Angst«, bemerkte der Graf, »übrigens ist es nicht die Revolution.«
Plötzlich packte einer der Bauern seinen Nachbar am Arm, der in ein lautes, sinnliches Gelächter ausbrach. Auf dieses Zeichen hatten alle gewartet. Die vorsichtigen, plumpen Leute schlugen ein brüllendes, johlendes Lachen an. Man schien zu merken, daß sich bisher jeder im geheimen allein für die niedrigste Bestie gehalten und nun freudig überrascht war, die andern genau ebenso zu finden. Jeder trug plötzlich zum größten Erstaunen seiner Nachbarn die wohlbekannten, von der Kirche verbotenen Begierden auf der Stirn geschrieben. Anscheinend entdeckten sie sich auf einmal gegenseitig in ihrer Tierheit. Einer drückte sich gierig an den andern, wobei vorläufig das Geschlecht gar keine Rolle spielte.
»Du Mordskerl ... Du Luder ...«, riefen sie und schlugen sich gegenseitig auf den Bauch.
»Sie sehen, daß das für uns ganz ungefährlich ist«, flüsterte mir der Graf lächelnd zu.
»Ich muß mich entblößen«, tönte ein junges Bauernweib.
Viele Männerhände streckten sich nach ihr und entrissen ihr die Kleider.
»Ich auch ... mir auch!« erklang es durcheinander.
Alle verließen ihre Plätze, die Stühle fielen um, das Tafelgerät flog umher, ein irrsinniges Geschrei erhob sich aus dem Menschengewühl. Auf der Galerie konnte man sich vor Entzücken nicht mehr halten. Die Damen riefen erregt zu den Männern hinunter, so wie man Stierkämpfer in der Arena zu ermutigen pflegt. Einige von den Kavalieren auf der Galerie hatten ihre Degen gezogen und warfen sie unter dem Ruf »Blut ... Blut« hinab. Mitten in diese allgemeine Erregung der Galerie drängte sich plötzlich ein schwarzbärtiger Kapuzinermönch, der sich atemlos bis an die Brüstung Bahn brach.
»O das Leben, das prächtige Leben!« rief er wie verzückt, »ich will baden im Leben!«
Mit diesen Worten riß er sein braunes härenes Kleid ab. Einen Augenblick sah man auf der Balustrade seine nackte, nervige Gestalt, die sich mit schnellem Schwung hinab in das Gewühl schwang. Eine namenlose Wut hatte sich der Bauern bemächtigt. Nur noch Fetzen von Kleidern hingen um die blutenden Körper. Die Adern der Männer waren gereckt, die Frauen, die dem Ansturm erlagen, krallten unersättlich die Finger in die neben ihnen liegenden Körper. Manche heulten nach dem Tod, der sie von ihrer unstillbaren Raserei heilen sollte. Sie griffen nach den Scherben von Glas und Porzellan, um sich oder andere in wahnsinnigem Lachen zu blenden oder zu töten. Auf der Galerie wußte man vor Vergnügen nicht mehr, was man erfinden sollte. Man warf hinunter, was erreichbar war: Wandspiegel, Champagnergläser, Stühle, riß sogar Portieren herab, schleuderte brennende Kerzen. Nur der Graf von Saint-Germain stand heiter lächelnd dazwischen. Manchmal wollte er reden: »In London habe ich im vierzehnten Jahrhundert viel amüsantere Sachen gesehen.«
Aber niemand hörte ihm zu.
»Wer hat den Mut, mich hinabzuschleudern?« rief die kleine Marquise. »Meine Liebe dem, der es wagt!«
Keiner der Kavaliere nahm das wohl ernst. Plötzlich erhoben sich aus dem Gewoge des Saales die Arme des Kapuziners. »Kommen Sie, kleine Marquise, Ihre Urahnin war meine erste Geliebte ...«
»Gilles de Laval«, rief die Marquise außer sich. »Ich erkenne dich ... ganz das abscheuliche Porträt ...«
Sie riß sich die Kleider ab, sprang hinunter und verschwand mit Gilles de Laval wie unter den Wellen des Meeres.
Gilles de Laval!
Der Name wirkte faszinierend auf die Frauen. Plötzlich wollten es alle der Marquise gleichtun und schrien, man solle sie hinunterwerfen. Wie von fremder Gewalt getrieben, ergriff einer nach dem andern fast feierlich seine Nachbarin und schleuderte sie über die Brüstung. Wenige Sekunden lang konnte man Herzoginnen und Marquisen, die Trägerinnen der schönsten Namen Frankreichs, nackt
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