Hasenherz
tot ist. Er will sich in den Traum zurückverkriechen, den er gerade geträumt hat, aber der Nachtmahr seiner Angst überwältigt ihn, und er steht schließlich auf und geht zum Jungen und prüft, ob er atmet, uriniert dann unter winzigen Schmerzen und kehrt ins Bett zurück, über dem die ersten Regungen des Tageslichts sich austragen, das die Falten in den Tüchern zu schwarzen Linien ätzt. Er legt sich auf dieses Netzwerk und stiehlt sich die Stunde, die noch bleibt, bis der Junge hungrig und durchfroren zu ihm kommt.
Am Freitag kehrt Janice nach Haus zurück. In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft füllt die Anwesenheit des Babys die ganze Wohnung aus, so, wie eine kleine Schale mit Weihrauch eine Kapelle überfluten kann. Rebecca June liegt in einem Korb aus geflochtenen Binsen, der weiß lackiert ist und auf Rollen steht. Wenn Rabbit zu ihr geht und sie betrachtet, um sicher zu sein, daß es sie wirklich gibt, sieht er sie nur verschwommen, als sei ihr noch nicht die Fähigkeit gegeben, feste Umrisse zu bilden. Ihre abgewandte Wange, aus der das leuchtende Rot gewichen ist, das ihm im Krankenhaus so aufgefallen ist, trägt graue und gelbe und blaue Flecken, ist marmoriert wie seine Handflächen zuweilen, wenn ihm nicht gut ist. Wenn Janice das kleine Mädchen stillt, keimen gelbe Sprenkel auf ihren Brüsten auf, als gäben sie den zarten Tönen dieser Farbe auf der Haut des Kindes Antwort. Der Zusammenklang von Brust und Babykopf schafft eine kugelige Har monie, die auf Nelson und ihn große Anziehungskraft ausübt. Wenn Rebecca trinkt, wird Nelson ganz unruhig, drängt sich an die beiden, bohrt seine Finger in die Nahtstelle zwischen des Babys Lippen und dem Euter der Mutter, und wenn er unter Schelten verjagt wird, tanzt er ums Bett herum und leiert die Drohung, die er vom Fernsehen her kennt: «Der starke Mäuserich ist unterwegs!» Rabbit dagegen liebt es, neben Janice auf dem Bett zu liegen und zuzusehen, wie sie ihre geschwollenen Brüste handhabt; die Haut spannt sich weiß und schim mernd vor Fülle. Sie rammt die dicke Warze wie eine Waffe in den blinden, aufgeworfenen Mund, der sich gierig wie ein Vogelschnabel öffnet und zuschnappt. «Au!» Janice wimmert auf, aber dann fangen die Saugdrüsen innen an des Kindes Lippen mit den Milchdrüsen der Mutter im gleichen Rhythmus zu arbeiten an; die Symmetrie vollendet sich; Janices Gesicht entspannt sich, und sie lächelt auf das Kind herab. Sie hält eine Windel gegen die andere Brust und fängt damit die Milch tropfen auf, die heraussickern. An diesen ersten Tagen voll Ruhe und in der Klinik produzierter Gesundheit hat sie mehr Milch, als das Baby ihr abnimmt. Zwischen den einzelnen Stillzeiten sickert sie unmerklich aus ihr heraus. Alle ihre Nachthemden tragen vorn zwei steife Flecken. Der Magen dreht sich ihm um, als er sie nackt sieht, nackt bis auf den Gummigürtel, der die Binde festhält: der geschorene, geschwollene, weiche Leib, die ungestümen Brüste, die hoch gestrafft sind durch den Druck der Milch und aus dem schmalen Körper vorspringen wie schimmernde, grüngeäderte Früchte mit rubbeligen, violetten Spitzen. Sie bewegt sich vorsichtig, so oberlastig und bandagiert, wie sie ist, als könnte sie überlaufen, wenn sie zu sehr geschüttelt wird. Sie entblößt ihre Brüste ganz ohne Scham, wenn's um das Baby geht, sie benutzt sie als Werkzeuge wie ihre Hände, aber vor Rabbits Augen hat sie immer noch eine Scheu, sie bedeckt sich hastig, wenn er sie zu unverhohlen betrachtet. Aber er empfindet einen Unterschied zwischen jetzt und damals, zu Anfang ihrer Liebe, als sie nebeneinander auf dem geliehenen Bett lagen, er die Augen geschlossen hielt, und sie sich hautig und seitlich ineinander gruben. Jetzt gibt sie sich ganz unbekümmert zwi schendurch, sie kommt nackt aus dem Badezimmer, läßt die Unter rockträger über die Schulter gleiten, wenn sie das Baby wiegt, damit es aufstößt; überhaupt, sie scheint sich wohl zu fühlen in der Rolle einer Maschine, einer weißen, weichen Maschine zum Lieben und Brüten und Füttern. Auch er läuft über. Dickflüssige, süße Liebe staut sich in ihm. Er will sie haben, nur eine Berührung, er weiß ja, daß sie eine blutende Wunde ist, aber eine kleine Berührung nur, so viel, daß er seine Milch loswerden kann, daß er sie ihr geben kann. In ihrem Ätherrausch hat sie zwar vom Lieben gesprochen, aber jetzt dreht sie sich immer weg von ihm im Bett, und sie schläft mit einer Schwere ein, die etwas
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