Hasenherz
düster Trotziges hat. Und er empfindet zu viel Dank, zu viel Stolz, um nicht zu gehorchen. In dieser Woche betet er sie an.
Eccles kommt auf einen kurzen Besuch und sagt, er hoffe, sie beide in der Kirche zu treffen. Sie stehen so hoch in seiner Schuld, daß sie einwilligen, ja, das müssen sie wirklich tun, wenigstens einer von ihnen muß hingehen. Dieser eine muß Harry sein. Janice kann nicht; sie ist am kommenden Sonntag erst neun Tage aus der Klinik raus, und seit Montag geht Harry seinem neuen Job nach, und sie fühlt sich überla stet, erschöpft, mißbraucht. Harry freut sich darauf, zu Eccles in die Kirche zu gehen. Nicht nur aus Sympathie zu Eccles, obwohl die sehr groß ist, sondern auch, weil er sich so glücklich, so gesegnet und freigesprochen vorkommt und dafür danksagen will. Instinktiv glaubt er an eine Welt, die über der unsern west, und vieles von dem, was er tut, viel mehr, als die andern ahnen, sind Handlungen, die auf diese Welt Bezug haben. Er zieht den neuen grauen Anzug an und tritt Viertel vor elf in den strahlenden blauen Sonntagmorgen hinaus, einen Tag vor Sommeranfang. Er hat die Menschen beneidet, die gegenüber von Ruths Wohnung in die Kirche gingen, und nun ist er einer von ihnen. Vor ihm liegt die erste Stunde seit mehr als einer Woche, die er ganz ohne einen Springer verbringen wird – weder mit Janice zu Haus noch mit ihrem Vater bei der Arbeit. Diese Arbeit ist allerdings beschämend einfach, wenn's einem nichts ausmacht, den Leuten Lügen aufzu tischen. Auf der Höhe des Nachmittags fühlt er sich völlig ausgelaugt. Er muß zusehen, wie die Kisten angescheppert kommen: hundert- zwanzigtausend Kilometer auf dem Buckel und die Kolben so wacke lig, daß das Öl einfach nur so rausströmt, und dann werden sie gewa schen, der Kilometerzähler wird zurückgedreht, und er hört sich sagen: Er wird um Vergebung bitten.
Er haßt die Menschen, die ihm in den schmutzigen Alltagskleidern auf der Straße begegnen und die Überzeugung vor sich hertragen, daß die Welt sich über einen Abgrund wölbt, daß der Tod endgültig ist, daß der wandernde Faden seiner, Rabbits, Empfindungen im Nichts verläuft. Und entsprechend liebt er die andern, diejenigen, die für den Kirchgang gekleidet sind. Die gebügelten Börsenanzüge stattlicher Männer leisten seiner heimlichen Ahnung vom Unsichtbaren Vor schub, verhelfen ihr zu Kraft und Ansehen, und die Blumen auf den Hüten der dazugehörigen Frauen sind der erste Schritt zur Sichtbarwerdung des Unsichtbaren, und die Töchter gar sind selber Blumen, mit Blütenblättern aus Tüll und Rüschen, Blumen des Glaubens, und selbst die Unscheinbarste, die sich ängstlich zwischen die Eltern klemmt, mit grünlicher Gesichtsfarbe und knochigen Armen, glüht für Rabbits Augen in Schönheit: in der Schönheit des Glaubens; er möchte ihnen allen dankbar die Füße küssen, sie erlösen ihn von seiner Furcht. Als er dann die Kirche betritt, ist er so gebläht vom Glück, daß er vergißt, Vergebung zu erflehen. Er kniet in irgendeiner Reihe nieder, auf einem roten Bänkchen, das zwar gepolstert ist, aber nicht weich genug, daß seine Knie nicht litten unter dem Gewicht seines Körpers, in seinem Kopf summt es vor Freude, das Blut strudelt in ihm, und die wenigen Worte, die sich in ihm komponieren: «Gott», «Rebecca», «Danke», hüpfen zusammenhanglos über die Stromschnellen seines unartikulierten Glücksflusses. Er ist von Menschen umringt, die Gott kennen; er ist in ein Blumenfeld geraten. Als er sich setzt, fallen seine Augen auf einen Kopf in der Reihe vor ihm. Ein Frauenkopf mit weißem Strohhut. Sie muß kleiner sein als andere Frauen, schmale, sommersprossige Schultern, jung wahrscheinlich, allerdings sehen Frauen von hinten oft jünger aus, als sie sind. Der Strohhut ist so frisch, so ersprießlich anzusehen. Wie er die leiseste Bewegung ihres Kopfes übernimmt, wie er den blonden Haarwirbel im Nacken gleichsam zu einem kleinen Geheimnis macht, das nur ihm sich ein winziges bißchen lüftet. Sie ist jung. Nacken und Schultern sind mit einem leisen, flim mernden Pelz feiner weißer Härchen überzogen, die nur dann auszu machen sind, wenn das Licht in derselben Richtung über sie hinstreicht, in der sie wachsen. Er lächelt: ihm fällt ein, was Tothero gesagt hat: Frauen seien am ganzen Körper behaart. Er
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