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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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saurer zu werden, denn jetzt knüpft er ja diese bisher fehlenden Beziehungen zu ihr an. Dann meint er, sie sei angewidert von ihm, weil er mit Ruth geschlafen und Ehebruch begangen hat; sie wird fromm mit den Jahren und hält ihn außerdem wohl noch für zwölf oder so, aber aus heiterm Himmel durchkreuzt sie alle diese Vermutungen, indem sie abrupt fragt: «Und was wird aus dem armen Mädchen, mit dem du in Brewer zusammengelebt hast?»
    «Mit der? Ach, die kann auf sich selber aufpassen. Sie hat nie was anderes erwartet.» Aber er schmeckt seinen eigenen Speichel, während er dies sagt. Sein ganzes Weltbild gerät ins Wanken, weil seine Mutter Ruth erwähnt hat.
    Ihre Lippen werden schmal, und hochmütig wirft sie den Kopf zurück und erwidert: «Ich habe nichts gesagt, Harry. Ich habe kein Wort gesagt.»
    Aber natürlich sagt sie ungeheuer viel, nur er weiß nicht, was. In der Art, wie sie Nelson behandelt, könnte man wohl so etwas wie einen Hinweis sehen. Sie ignoriert ihn nahezu, gibt ihm keine Spielsachen, keinen Kuß, sagt einfach nur: «Hallo, Nelson», und nickt ihm zu dabei, und ihre Brillengläser blinken und werden zu undurchsichtig weißen Scheiben. Nach Mrs. Springers Herzlichkeit mutet diese Kühle grausam an. Nelson empfindet das auch so und ist eingeschüchtert und verschreckt und lehnt sich ans Bein seines Vaters. Rabbit weiß zwar nicht, was seine Mutter so aufbringt, aber ganz gewiß sollte sie ihren Ärger nicht an einem Dreijährigen auslassen. Es ist ganz neu für ihn, daß eine Großmutter sich so aufführen kann. Es ist freilich wahr, die bloße Gegenwart des armen Jungen läßt die üblichen Gespräche zwi schen ihnen nicht aufkommen, sie erzählt nicht wie sonst irgend etwas Hübsches, Heiteres, das sich in der Nachbarschaft begeben hat, sie reden nicht von ihm, Harry, wie er als Kind war, wie er den ganzen Nachmittag, bis in die Dunkelheit hinein, mit dem Ball trainiert hat, wie er sich immer um Mim gesorgt hat. Nelson ist zur Hälfte ein Springer, und dieser Tatbestand scheint alles zu ersticken. In diesem Augenblick mag er seine Mutter nicht mehr; es grenzt an Geistesschwä che, mit einem Kind so umzuspringen, das gerade erst sprechen gelernt hat. Er will zu ihr sagen: Was ist los? Du benimmst dich, als sei ich zur andern Seite übergewechselt. Du benimmst dich, als seist du nicht ganz bei Trost. Weißt du nicht, daß es die richtige Seite ist, und warum lobst du mich nicht?
    Aber er sagt es nicht, er ist von einer Halsstarrigkeit, die sich mit der ihren messen kann. Er sagt überhaupt nicht mehr viel; nachdem er ihr geschildert hat, wie fair die Springers sich verhalten, verschließt er sich. Er lungert einfach so herum, kullert mit Nelson eine Zitrone hin und her. Jedesmal, wenn die Zitrone zu den Füßen seiner Mutter hinrollt, muß er sie wieder holen; Nelson traut sich nicht. Das Schweigen treibt Rabbit die Röte ins Gesicht; aus Scham über sich selbst oder über sie, das weiß er nicht. Als sein Vater nach Haus kommt, ändert sich nicht viel. Der alte Mann ist zwar nicht böse, aber er sieht Harry an, als stünde dort niemand. Sein müder Buckel und seine schmutzigen Fin gernägel erbittern den Sohn; es ist, als wolle er sie alle vorsätzlich alt machen. Warum beschafft er sich nicht ein Gebiß, das sitzt? Sein Mund mummelt wie der eines alten Weibs. Aber etwas wenigstens; sein Vater schenkt Nelson ein bißchen Aufmerksamkeit, als der ihm hoffnungs voll die Zitrone zurollt. Er stößt sie zurück. «Willst du ein Ballspieler werden wie dein Papa?»
    «Das kann er nicht, Earl», läßt die Mutter sich vernehmen, und Rabbit ist glücklich, ihre Stimme zu hören, er denkt, das Eis sei gebrochen; bis sie weiterspricht: «Er hat doch die kleinen Springer-Hände.» Diese Worte, hart wie Stahl, lassen einen Aschenregen in Rabbits Herzen niedergehen.
    «Die hat er nicht, verdammt!» sagt er, und gleich darauf bereut er es, er ist ertappt. Es müßte doch egal sein, wie Nelsons Hände beschaffen sind. Aber jetzt merkt er, daß es ihm nicht egal ist. Er will nicht, daß der Junge die Hände seiner Mutter hat; wenn's wirklich so ist – die Groß mutter sagt es, also wird es auch so sein –, dann hat er den Jungen ein bißchen weniger gern. Er hat den Jungen ein bißchen weniger gern, aber er haßt seine Mutter dafür, daß sie ihn dazu gebracht hat. Es ist geradeso, als wolle sie alles herunterreißen, auch, wenn es dann auf sie selber hereinbricht. Er hat das immer bewundert, diese

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