Hasenherz
das große ernste Muster aus ergeben gesenkten Köpfen, buntem Glas, gilbenden Gedenktafeln an der Wand und kunstvoll verschlungenem, verschnörkeltem Schnitzwerk stehen ge sondert ihr Haar und ihre Haut und ihr Hut; und diese drei Dinge unterscheiden sich in ihren Farbnuancen voneinander wie die Schattierungen von Flammen, die vom selben Feuer aufsteigen.
Als die Predigt dann in einen Choral mündet und Lucy den glänzen den Nacken beugt, um den Segen zu empfangen, und der kurze nervöse Augenblick der Stille vorüber ist und sie aufsteht und vor ihn tritt, ist es eine arge Enttäuschung, ihr Gesicht zu sehen mit seiner reichhaltigen Sammlung von Kreisformen: Augen und Nasenlöcher und Sommersprossen und die straffen kleinen Grübchen, die ihr einen Hauch von Sarkasmus in die Mundwinkel tupfen. Daß ihr Gesicht überhaupt einen persönlichen Ausdruck trägt, schon das allein bestürzt ihn; das lichte Bild, das er eine Stunde lang genossen, hat ihm verhohlen, daß es sich so rasch auf eine bestimmte Person beschränken lassen würde.
«Hallo!» sagt Rabbit.
«Hallo!» sagt sie. «Sie sind wirklich der letzte, den ich hier erwartet hätte.»
«Wieso?» Es freut ihn, daß sie ihn für etwas Letztes hält.
«Ich weiß nicht. Sie sehn einfach nicht so aus wie einer, der zu solchen öffentlichen Veranstaltungen geht.»
Er beobachtete ihre Augen, ob sie wieder zwinkern werden. Er glaubt schon nicht mehr daran, daß sie es damals, vor Wochen, wirklich getan haben. Sie erwidert seinen Blick, bis er seine Augen niederschlägt. «Hallo, Joyce», sagt er, «wie geht's dir denn?»
Das kleine Mädchen wird unsicher und versteckt sich hinter der Mutter, die sich weiter mit wiegenden, kleinen Schritten den Mittelgang entlangmanövriert und nach links und rechts lächelnde Grüße verteilt. Wohl oder übel muß er ihren gesellschaftlichen Schliff bewun dern.
An der Tür schüttelt Eccles ihm die Hand auf seine übliche zupackende Weise: ein herzlicher Druck, der fester wird, wenn man meinen sollte, jetzt werde er einen doch wohl wieder freigeben. «Es ist ein hohes Vergnügen, Sie hier zu treffen», sagt er und macht keine Anstalten, sich den andern Schafen der Herde zuzuwenden. Rabbit fühlt, wie die ganze lange Schlange hinter ihm sich staut und nachschiebt.
«War nett hier», sagt er. «Sehr nette Predigt.»
Eccles hat ihn mit etwas fiebrigem Lächeln angesehen und ist errötet, als geniere er sich für etwas; jetzt lacht er. Sein Gaumen schimmert sekundenlang auf, dann entläßt er Harry.
Harry hört, wie er zu Lucy sagt: «In einer Stunde ungefähr.»
«Der Braten ist schon drin. Willst du ihn kalt oder verbrutzelt haben?»
«Verbrutzelt», sagt Eccles. Feierlich schüttelt er Joyces kleine Hand und sagt: «Wie geht es Ihnen, Mrs. Winziggroß? Wie fabelhaft Sie wieder aussehn heute Morgen!»
Rabbit dreht sich erstaunt um und sieht, daß die dicke Dame unmittelbar hinter ihm auch höchst befremdet ist. Lucy hat recht, Eccles ist manchmal unbesonnen. Mit Joyce am Rockzipfel tritt sie neben Rabbit. Ihr Strohhut streift seine Schulter. «Sind Sie im Auto da?»
«Nein. Sie?»
«Nein. Begleiten Sie uns.»
«Ja, gut.» Ihr Vorschlag ist so kühn, es kann nichts dahinter stecken. Trotzdem fängt die Saite in ihm, die auf sie abgestimmt ist, zu vibrieren an. Sonnenschein zittert durch die Bäume; auf den Fahrdämmen und unbeschatteten Teilen der Fußsteige lastet er mit breitem, trockenem Gewicht. Das Körnig-milchige vom Morgensonnenlicht hat er verlo ren. Glimmerstückchen im Pflaster funkeln auf; die Kühlerhauben und Fenster vorbeiflitzender Autos wischen weiße Reflexe in die Luft. Sie nimmt den Hut ab und schüttelt das Haar. Die Kirchgängermeute verläuft sich hinter ihnen. In rhythmischen Abständen werden sie vom fleischigfrischen, wächsernen Laub der Ahornbäume überschirmt, die zwischen Fußsteig und Kantstein wachsen. In den klaffenden Sonnenschlünden dazwischen sind ihr Gesicht und sein Hemd weiß, so weiß. Das Surren der Motoren, das Quietschen eines Kinderrads, die Berüh rung zwischen Tasse und Untertasse im nächsten Haus – alle Geräusche scheinen ihm wie auf einen langen Metallstab gefädelt. Sie gehen immer weiter, und er zittert im Licht, das ihr Licht zu sein scheint.
«Wie geht es Ihrer Frau und dem Baby?» fragt sie.
«Gut. Denen geht es gut.»
«Na fein. Macht Ihre neue Stellung Ihnen Spaß?»
«Nicht sehr.»
«Oh. Das ist ein schlechtes Zeichen, nicht?»
«Ich weiß nicht. Ich
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