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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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denkt, ob Tothero wohl schon tot ist, und betet hastig, er möge es nicht sein. Seine Ungeduld wächst, die Frau möchte sich endlich umdrehen, damit er ihr Profil sehen kann unter der Hutkrempe, einem großen, gehäkelten Sonnen rad, das mit einem papierenen Veilchenzweig garniert ist. Dann wendet sie ihren Blick zur Seite und sieht auf irgend etwas nieder, und Rabbit stockt der Atem; ein winziges Stückchen Wangenhalbmond schimmert auf und erlischt wieder. Ein Etwas mit rosa Schleife taucht neben ihrer Schulter auf. Er starrt in das neugierige, freudestrahlende Gesicht der kleinen Joyce Eccles. Seine Finger blättern hastig nach dem Choral, die Orgel hat schon eingesetzt. Da sitzt Eccles’ Frau, keine Armlänge von ihm entfernt.
    Eccles kommt schwerfällig den Mittelgang herauf, eine Schar von Meßdienern und Choristen als Vorhut. Als er dann hinter dem Altar gitter steht, sieht er ganz zerstreut aus und mürrisch, und der Talar läßt ihn fremd und unkörperlich und steif erscheinen wie eine japanische Puppe. Die affektierte, nasalfromme Stimme, mit der er die Gebete intoniert, berührt Rabbit unangenehm; überhaupt, der ganze episkopalische Gottesdienst hat etwas Peinliches mit seinem unentwegten Auf und Nieder, mit seinen floskelhaften Bitten, seinen kursorischen klei nen Litaneien. Das Betpolster wird Rabbit langsam lästig; das Kreuz tut ihm weh. Er hakt die Ellenbogen über die Rückenlehne der Bankreihe vor ihm, um nicht hintenüber zu kippen. Er vermißt die vertraute lutherische Liturgie, die in sein Herz gemeißelt ist wie eine verwitterte Inschrift. In diesem Gottesdienst hier tappt er auf lächerliche Weise im dunkeln; es kommt ihm vor, als sei die Reihenfolge absichtlich verscho ben, um ihn irrezuführen. Und mit der Kollekte wird zu viel Aufhebens gemacht, findet er. Der Predigt mag er kaum noch zuhören.
    Sie handelt von den vierzig Tagen in der Wüste und Christi Gespräch mit dem Teufel. Hat diese Geschichte überhaupt noch einen Bezug auf uns heute? Auf uns, heute, im zwanzigsten Jahrhundert, in den Vereinigten Staaten von Amerika? Ja. Man muß es so sehen, daß alle Chri sten Auseinandersetzungen mit dem Teufel haben, daß sie ihm auf die Schliche kommen, daß sie seine Stimme hören müssen. Die Überliefe rung dieser Legende ist uralt, sie wurde von Mund zu Mund weiterge geben bei den frühen Christen. Ihre weiter reichende Bedeutung, ihren tieferen Sinn sieht Eccles hierin: Duldertum, Erniedrigung, Unfrucht barkeit, Mühsal, Armut, das alles seien unerläßliche Voraussetzungen, wenn man sich erziehen wolle für die Nachfolge Christi, wenn man sich ihr weihen wolle. Eccles hat auf der Kanzel gegen einen Quietschton in seiner Stimme anzukämpfen. Seine Augenbrauen zappeln, als hingen sie an Angelhaken. Ein unerquickliches, angestrengtes, irgendwie ver zerrtes Schauspiel liefert er da oben; seinen Wagen fährt er mit einer viel zwangloseren Frömmigkeit. In der großen Robe mutet er wie der unerbittliche Priester eines düsteren Mysteriums an. Harry kann dem dunklen, verschlungenen Eingeweideaspekt des Christentums keinen Geschmack abgewinnen, diesem , dieser Hingabe an den Tod und das Leiden, das alles wieder gutmacht, alles umkehrt, wie ein Regenschirm, der sein Inneres nach außen öffnet. Es gebricht ihm an der nötigen Bedingungslosigkeit, der Richtschnur eines Paradoxons zu folgen. Er wendet seine Augen ins Licht, wie sehr es ihm auch auf der Netzhaut brennt.
    Lucy Eccles’ glänzende Wange wird bald sichtbar unter dem Schild aus Stroh, bald taucht sie zurück in den Schatten. Das kleine Mädchen, verborgen hinter der Lehne – nichts schaut heraus außer der Haarschleife –, flüstert ihr etwas zu, vermutlich, daß er hinter ihnen sitzt. Aber die Frau dreht den Kopf nie eindeutig herum, um sich zu überzeu gen. Diese unnötige Brüskierung erregt ihn. Das Äußerste, was ihm zuteil wird, ist ihr Profil. Die sanfte Verdoppelung ihres Kinns wird präziser, als sie sich stirnrunzelnd zum Kind herabbeugt. Die schmalen blauen Streifen ihres Kleids treffen an den Nähten in zahllosen scharfen Vs zusammen. Der elegante Stoff und Zuschnitt des Kleids passen nicht so recht in die Kirche und unterwerfen sich ihr doch. Etwas Erotisches liegt in ihrer Versunkenheit, in ihrem Gehorsam gegenüber der männli chen, spröden, strengen Prozedur der Kirche. Er schmeichelt sich, indem er sich einredet, ihre Aufmerksamkeit ströme in Wahrheit nach hinten, ihm zu. Gegen

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