Hasenherz
ganzen Nachmittag hast du eine Zigarette nach der andern geraucht und gesagt:
«Ich dachte, es würde dich ein bißchen lockerer machen. Du bist ja die ganze Zeit auf Hochspannung.»
«Nicht mehr als du. Was ist los mit dir? Was macht dir so zu schaffen?»
«Was ist los mit deiner Milch? Warum kannst du das Kind nicht genügend stillen?»
«Ich hab sie dreimal gestillt in vier Stunden. Jetzt hab ich nichts mehr.» Mit einer unverblümten Bewegung, die zeigen soll, wie ausge sogen sie ist, preßt sie ihre Brüste unter dem Kleid zusammen.
«Na komm, mach dir irgendwas zu trinken.»
«Was haben die dir eigentlich in der Kirche erzählt? Wenn du was trinken willst, bitte, von mir aus.»
«Ich brauch nicht zu trinken.»
«Dann brauchst du eben was anderes. Du bist es doch, der Becky so aufregt. Den ganzen Morgen über ging es wunderbar mit ihr, bis du dann kamst.»
«Nun laß doch. Vergiß den ganzen widerwärtigen Kram.»
«Baby weint.»
Janice legt den Arm um Nelson. «Ich weiß, mein Schatz. Ihr ist heiß. Sie wird gleich aufhören.»
«Baby heiß?»
Sie lauschen einen Augenblick, aber es hört nicht auf; die wilden schwachen Warnrufe, von peinigenden Sekunden der Stille unterbro chen, klingen weiter und immer weiter. So gewarnt, aber nicht wissend, wovor, stolpern sie ruhelos durch die zerpflückte Sonntagszeitung; sitzen gefangen in der Wohnung, deren Wände wie Kerkermauern schwitzen. Der Himmel draußen wölbt sich weit und königlich blau durch die Stunden, und Rabbit denkt daran, daß seine Eltern Mim und ihn zu fröhlichen Spaziergängen mitgenommen haben an einem sol chen Tag, und es erbittert ihn zusätzlich, daß dieser schöne Sonntag so ungenutzt verstreicht. Aber sie bringen keine Regelung zustande. Zwar könnten er und Nelson sich aufmachen, aber der Junge in seiner sonderbaren Angst mag sich nicht von der Mutter lösen, und Rabbit hofft immer noch, sie am Ende zu kriegen, und rührt sich nicht von ihrer Seite, wie ein Drache, der einen Schatz hütet.
Sie spürt das, und es bedrückt sie. «Warum gehst du nicht spazieren? Du machst das Baby nervös. Du machst mich nervös.»
«Willst du nicht doch was trinken?»
«Nein, nein. Ich will nur, daß du dich endlich hinsetzt und mit dem Rauchen aufhörst und das Kind schaukelst oder irgend was anderes tust. Und hör auf, mich anzufassen. Es ist so heiß. Ich glaube, ich muß mich wieder in die Klinik legen.»
«Hast du Schmerzen? Ich meine, da unten.»
«Ich hätte keine, wenn das Kind endlich aufhören würde. Ich hab sie jetzt dreimal gestillt. Und jetzt muß ich dir Abendbrot machen. Ohhh, Sonntage machen mich ganz krank. Was hast du bloß in der Kirche gemacht, daß du so zappelig bist?»
«Ich bin nicht zappelig, ich versuch, dir behilflich zu sein.»
«Ich weiß. Das ist ja gerade das Unnatürliche. Deine Haut riecht komisch.»
«Wieso?»
«Ach, ich weiß nicht. Hör auf, mich zu belästigen.»
«Ich liebe dich.»
«Hör auf damit. An mir ist im Augenblick nichts zu lieben.»
«Du legst dich jetzt aufs Sofa, und ich koche irgendwas.»
«Nein, nein, nein. Bade lieber Nelson. Ich versuch noch mal, dem Baby zu trinken zu geben. Armes Ding, dabei ist wirklich nichts mehr drin.»
Sie setzen sich spät zum Abendbrot, aber es ist noch ganz hell draußen. Dies ist einer der längsten Tage im Jahr. Bei der flackernden Flamme von Rebeccas drängenden Lauten löffeln sie ihre Suppe. Wie ein dünner Glühfaden ist die durchsichtige Stimme des Kindes, der unter unregelmäßigen Energiestößen dahinglimmt.
Aber als sich zwischen dem aufgestapelten Geschirr im Spülbecken, unter den abgewetzten, klammen Möbeln und in der sargartigen Mul dung des geflochtenen Babybettchens die Schatten zu lagern beginnen, läßt der Zugriff desjenigen, mit dem Becky den ganzen Nachmittag gerungen hat, nach; sie wird plötzlich ruhig, und ein feierlicher, schuld voller Frieden kommt auf. Sie haben das Kind im Stich gelassen. Ein Fremder, der nicht ihre Sprache spricht, aber trächtig ist mit einer großen, schmerzvollen Drohung, ist unter sie getreten, und sie haben das Kind nicht schützen können. Endlich spült die Nacht selber herein, spült das Kind wie einen Kehricht fort.
«Es kann keine Kolik gewesen sein, sie ist zu klein, um so was schon zu haben», sagt Janice. «Vielleicht hat sie einfach Hunger gehabt, vielleicht hab ich einfach keine Milch mehr.»
«Wie ist das
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