Hasenherz
Wellen legt. Und jäh in seiner Erinnerung erschau ert Janice, sie liegt auf des anderen Mädchens Bett, im sinkenden Tageslicht. Er versucht, diese Erinnerung mit Gedanken an Miriam auszulöschen: Mim vor ihm auf der Lenkstange, Mim in dunklem Schneegestöber auf einem Schlitten, den er die Jackson Street hinauf zieht, das kleine Mädchen lacht unter der Kapuze hervor, und er ist der große Bruder, rote Laternen im Flockenwirbel, die das Straßenbauamt an den Holzböcken angebracht hat, mit denen es die Straße für die Rodler absperrt, abwärts, abwärts, die Kufen pfeifen über die glatte Bahn, halt mich fest, Harry!, Funken stieben, wenn die Kufen auf die Kohlenschlacke treffen, die zur Sicherheit ausgestreut ist, das harte, kratzende Stoppen – wie das dumpfe Schlagen eines riesigen Herzens im Dunkel. Einmal noch, Harry, dann gehn wir nach Haus, Ehren wort, Harry, bitte, bitte, ich hab dich so lieb, die kleine Mim, sieben war sie vielleicht, in ihrem dunklen Kapuzenmantel, die Straße war wachsweich vor lauter Schnee, und immer noch fielen die Flocken. Die arme Janice ist mittlerweile sicher stutzig geworden und telefoniert mit ihrer oder mit seiner Mutter oder mit jemand anderem und kränkt sich, daß ihr Essen kalt wird. Sie ist so dumm. Vergib mir.
Er gibt Gas. Der immer dichter werdende Raster der Lichter er schreckt ihn. Philadelphia saugt ihn ein. Er haßt Philadelphia. Es ist die schmutzigste Stadt der Welt, das Wasser dort ist vergiftet. Er möchte südwärts fahren, immer weiter hinunter auf der Landkarte, zu Oran genhainen und dunstigen Flüssen und barfüßigen Frauen. Es scheint ganz einfach: die ganze Nacht, das Morgengrauen, den Vormittag, und den Mittag hindurch fahren, den Wagen parken, die Schuhe ausziehen und schlafen am Golf von Mexiko. Aufwachen unter Sternen, wunder bar angeordnet im Raum, unvollkommener Gesundheit. Aber er fährt ostwärts, in die schlimmste Richtung, Ungesundheit, Ruß und Gestank entgegen, in eine Grube hinein, wo man erstickt, wo man keine Bewe gung machen kann, ohne jemanden umzubringen. Aber die Straße saugt ihn an, und auf einem Schild steht: P OTTSTOWN 2. Beinah hätte er gebremst. Aber dann überlegt er.
Wenn er sich ostwärts hält, liegt der Süden zu seiner Rechten. Und da, wie wenn die Welt rings bereit stünde, seinen Gedanken entgegen zukommen, zweigt rechts eine breite Straße ab, und ein Schild sagt: Straße 100 W EST C HESTER W ILMINGTON . Straße 100, das hat einen schönen, unwiderruflichen Klang. Er will gar nicht nach Wilmington, aber es liegt auf dem richtigen Weg. Er ist noch nie in Wilmington gewesen. Es gehört zu den Du Fonts. Wie es wohl wäre, es mit einer Du Pont zu tun. Er ist noch keine acht Kilometer gefahren, als ihn das Gefühl überkommt, diese Straße sei nur eine andere Öffnung derselben Falle. Da schlägt er die nächste, rechts abführende Straße ein, die sich ihm anbietet. Ein Meilenstein im Scheinwerferlicht meldet: 23. Eine gute Zahl. Beim ersten Spiel, das er mitmachte, bekam er dreiundzwan zig Punkte. High School im zweiten Jahr und noch jungfräulich. Bäu me überschatten diese enge Straße.
Eine barfüßige Du Pont. Braune Beine wahrscheinlich, harte zierli che Brüste. Am Rande eines Swimming Pool in Frankreich. Etwas wie Geld in einer nackten Frau, tief, Millionen. Millionen, stellst du dir vor, sind weiß. Du versinkst immer tiefer, aber du erschöpfst die Tiefe nie. Sind reiche Mädchen frigid? Nymphomanisch? Von Fall zu Fall ver schieden. Letztlich sind sie einfach Frauen, Abkommen von irgendei nem alten Indianerbetrüger, der glücklicher war als die andern, alle haben sie dasselbe Erbgut, auch wenn sie im Schmutz leben. Glühen um so weißer dort, auf den groben Matratzen. Diese wunderbare Weichheit, die sie haben, wenn sie dich wollen. Sonst sind sie nur fett und schwer. Diese wunderbare Weichheit, aber dich wollen sie aufgerichtet und hart an ihrem Spalt. Spiel sie, bis sie nur mehr eine leise Berührung brauchen, dann kannst du es spüren: ihre Haut unter dem Fell wird handsam wie der Nacken eines Hündchens.
Straße 23 frißt sich westwärts durch kleine fade Landstädte: Coun-tryville, Elverson, Morgantown. Rabbit hat solche Städte gern. Vier schrötige hohe Bauernhäuser beschnuppern die Straße. Sanfte Kreidefassaden. In dem einen Städtchen leuchtet eine Kneipe, und er hält gegenüber einem Eisenwarenladen, vor dessen Eingang zwei Benzin- Pumpen stehen. Vom Radio weiß er, daß es ungefähr halb acht
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