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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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zuflüstert, ihr Bild sei scheußlich. Nelson sieht auf, und sein bewegliches kleines Gesicht zieht sich in die Breite, und er weint: «Nicht! Nicht, Mammi!» Sie ist darauf gefaßt, daß er sich zu ihr stürzen wird, in ihren Schoß, aber statt dessen springt er auf und läuft mit stolpernden Schritten, wie ein kleiner Krüppel fast, ins Schlafzimmer hinüber und schlägt der Länge nach hin.
    Sie schiebt sich mit ruhigem Lächeln vom Fußboden ab und geht in die Küche, wo, wie sie denkt, ihr Whiskyglas steht. Das einzig Wichtige ist jetzt, daß sie den Bogen bis ans Ende des Tags schlägt, damit er ein sicherer Schutz für Harry wird, und es ist ganz dumm, nicht den kleinen Schluck noch zu nehmen, der ihren Bogen lang genug machen kann. Sie geht wieder ins Zimmer und redet mit Nelson. «Mammi hat aufgehört zu weinen, mein Herz. Es war nur ein Scherz. Mammi weint gar nicht richtig. Mammi ist sehr glücklich. Sie hat dich schrecklich lieb.» Sein verheultes, schmutziges Gesicht ist auf sie gerichtet. Und wie ein Stich von hinten schrillt plötzlich das Telefon. Sie nimmt den Hörer ab, noch immer in dieser unerschütterlichen Ruhe. «Hallo?»
    «Liebes? Hier ist Papa.»
    «Oh, Papa!» Freude fließt ihr von den Lippen.
    Er macht eine Pause. «Kind, ist Harry krank? Es ist nach elf, und er ist bis jetzt noch nicht im Geschäft erschienen.»
    «Nein, er ist ganz munter. Wir sind alle ganz munter.»
    Wieder eine Pause. Ihre Liebe zu ihm flutet durch die stille Leitung.
    Sie wollte, diese Unterhaltung risse nie ab. Er fragt: «Ja, wo ist er dann? Ist er da? Gib ihn mir mal, Janice.»
    «Papa, er ist nicht hier. Er ist heute ganz früh weggegangen.»
    «Wohin denn? Er ist nicht im Geschäft.» Ihr kommt es so vor, als habe er das Wort «Geschäft» millionenmal schon gesagt. Er spricht es anders aus als alle ändern Menschen. Kompakt und üppig kommt es von seinen Lippen, als sei die ganze Welt darin geschlossen. Alles Gute ihrer Jugend, all ihre Kleider, ihr Spielzeug, das große Haus, ist von dem «Geschäft» gekommen.
    Sie blüht auf, bei Autogesprächen kennt sie sich aus. «Er ist früh weggegangen, Papa, er wollte einem Interessenten einen Kombiwagen vorführen, und der Mann hat nur wenig Zeit, er muß zur Arbeit oder so was. Warte mal, laß mich nachdenken. Er hat gesagt, der Mann muß ganz früh nach Allentown. Er muß nach Allentown, und Harry muß ihm einen Kombiwagen vorführen. Alles ist bestens, Papa. Harry liebt den Job.»
    Die dritte Pause ist am längsten. «Liebes, bist du sicher, daß er nicht da ist?»
    «Papa, du bist aber drollig! Er ist wirklich nicht hier, siehst du?» Und sie hält den Hörer ins leere Zimmer hinein, als hätte er Augen, um sich zu überzeugen. Gedacht war's als töchterlich kecker Scherz, aber als sie ihren Arm so von sich abhält, wird ihr plötzlich schlecht. Sie legt den Hörer wieder ans Ohr, und eine ferne, tickende Stimme sagt: «Liebes, es ist alles gut. Mach dir keine Sorgen. Sind die Kinder bei dir?»
    Ihr ist schwindlig, und sie legt auf. Das ist ein Fehler, aber im ganzen ist sie doch sehr geschickt vorgegangen, denkt sie. Und eigentlich hat sie noch einen Whisky verdient. Die braune Flüssigkeit rieselt über die dampfenden Eiswürfel, und sie hört nicht auf zu rieseln, auch nicht, als sie's befiehlt. Ärgerlich läßt sie die Flasche hochschnappen, und große Tropfen fallen dabei in den Ausguß. Sie geht ins Bad mit dem Glas und kommt mit leeren Händen wieder heraus und mit einem Zahnpastage schmack im Mund. Sie kann sich noch darauf besinnen, daß sie in den Spiegel gesehen und sich das Haar glattgestrichen hat, und dann muß sie sich wohl die Zähne geputzt haben. Mit Harrys Zahnbürste.
    Plötzlich ertappt sie sich beim Essenmachen: als sehe sie sich irgend eine Nährmittelreklame in einer Illustrierten an; Speckstreifen brutzeln in der Pfanne, ganz am Ende eines langen blauen Stiels. Sie beobachtet die Fettspritzer, die in die Höhe geschleudert werden wie die hübsche Fontäne eines Brunnens im Park, und sie staunt, wie hoch hinauf sie spritzen. Sie stechen ihr in die Hand, die den Pfannenstiel hält, und sie dreht das violette Gas niedriger. Sie schenkt Nelson ein Glas Milch ein und zupft ein paar Blätter von einem Salatkopf und ordnet sie auf einem gelben Plastikteller und ißt gleich eine Handvoll selber. Sie denkt, daß sie selber nichts essen will, aber dann denkt sie, es ist doch besser, wenn sie was ißt, vielleicht kommt das zitterige Gefühl in

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