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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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ihrem Magen vom Hunger, und so holt sie noch einen Teller heraus und bleibt stehen, wo sie steht, preßt den Teller mit beiden Händen gegen die Brust und überlegt, warum Papa wohl so sicher war, daß Harry hier ist. Sie weiß genau, daß noch jemand in der Wohnung ist, aber es ist nicht Harry, es ist irgend jemand, der hier überhaupt nichts zu suchen hat, und sie beschließt, ihn zu übersehen, und wendet sich wieder der Essensberei tung zu, aber eine so merkwürdige Steifheit formt sich in ihrem Körper. Sie läßt nicht locker, bis alles ordentlich auf dem Tisch steht.
    Nelson sagt, der Speck sei zu fett, und fragt wieder, ob Papi weg ist, und seine Beschwerde über den Speck, den sie in ihrer Tüchtigkeit und Tapferkeit trotz allem gebacken hat, bringt sie so auf, daß sie, als er zum zwanzigstenmal sich weigert, wenigstens doch ein bißchen Salat zu essen, über den Tisch langt und ihm in das kleine robuste Gesicht schlägt. Das dumme Kind kann nicht mal weinen, es sitzt bloß da und guckt und schluckt den Atem runter, und schließlich bricht es doch los. Aber Gott sei Dank steht sie der Situation mit Gleichmut gegenüber, sie ist sehr ruhig, sie erkennt klar, wie unbegründet sein Benehmen ist, und lehnt es ab, sich tyrannisieren zu lassen. In gleichmäßigem, glattem Bogen, wie eine einzige riesige Welle, macht sie ihm die Flasche zu recht, nimmt ihn bei der Hand, paßt auf, daß er schön sein Geschäft macht, und bringt ihn zu Bett. Noch ebbt das Schluchzen in ihm nach, aber er schiebt sich den Gummipfropfen der Flasche in den Mund, und am gläsernen Schmelz seiner wachsamen Augen erkennt sie, daß er im Käfig des Schlafs gefangen ist. Sie steht an seinem Bett und wundert sich über ihre unnachgiebige Strenge.
    Das Telefon klingelt zum zweitenmal, zorniger als vorhin, und als sie hinläuft, läuft, weil sie nicht will, daß Nelson gestört wird, merkt sie, wie die Kraft sie verläßt und ein schaler brauner Geschmack ihr hinten in der Kehle aufsteigt.
    «Hallo?»
    «Janice.» Die Stimme ihrer Mutter, unbeteiligt und barsch. «Ich komme gerade vom Einkaufen aus Brewer zurück, dein Vater hat den ganzen Vormittag versucht, mich zu erreichen. Er glaubt, daß Harry wieder auf und davon ist. Stimmt das?»
    Janice schließt die Augen und sagt: «Er ist nach Allentown ge fahren.»
    «Was will er da?»
    «Ein Auto verkaufen.»
    «Sei nicht dumm, Janice. Geht es dir gut?»
    «Wie meinst du das?»
    «Hast du getrunken?»
    « Getrunken – was ? »
    «Na, mach dir keine Gedanken, ich komme gleich rüber.»
    «Mutter, nein. Es ist alles in bester Ordnung. Ich habe Nelson gerade zum Mittagsschlaf hingelegt.»
    «Ich mach mir nur rasch einen Happen aus dem Kühlschrank zurecht, und dann komm ich vorbei. Du legst dich jetzt hin.»
    «Mutter, bitte, komm nicht her.»
    «Janice, keine Widerrede mehr. Wann ist er gegangen?»
    «Bleib da, Mutter. Er kommt heute abend wieder.» Sie lauscht und setzt dann hinzu: «Und hör auf zu weinen.»
    «Ja, du hast gut sagen, ich soll aufhören, wo du uns alle ständig in Verruf bringst», sagt Mrs. Springer. «Das erstemal hab ich gedacht, es sei alles seine Schuld, aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher. Hörst du? Ich bin nicht mehr so sicher.»
    Bei dieser Strafpredigt ist die rutschende Übelkeit in Janice so steil geworden, daß sie sich wundert, wie sie überhaupt noch den Hörer halten kann. «Komm nicht her, Mutter», bettelt sie, «bitte».
    «Ich esse nur einen Happen zu Mittag und bin in zwanzig Minuten da. Du gehst jetzt ins Bett.»
    Janice legt den Hörer auf die Gabel und sieht voller Schrecken um sich. Die Wohnung ist in fürchterlichem Zustand. Malbücher auf dem Fußboden, Gläser überall, das Bett nicht gemacht, schmutziges Ge schirr. Sie läuft zum Platz, wo sie mit Nelson gehockt und gemalt hat, und versucht, sich vornüber zu bücken. Sie fällt auf die Knie, und das Baby fängt an zu schreien. Ganz rasend vor Angst, Nelson könnte wieder wach werden und ihr könnte es fehlschlagen, Harrys Ver schwinden zu verheimlichen, stürzt sie sich zum Körbchen, und wie in einem Alptraum stellt sie fest, daß es über und über verschmiert ist mit orangefarbenem Brei. «Oh, verflucht, verflucht», zischt sie Rebecca an und hebt das kleine dreckige Ding heraus und überlegt, wohin damit. Sie legt es auf den Sessel und knüpft ihm, vor Anstrengung auf die Lippen beißend, die Windeln auf. «Du kleines Schwein», murmelt sie und merkt, daß ihre Stimme diesen anderen, der

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