Hasenherz
beugt, um ihm seine Rice-Krispies einzulöf feln, sieht er sie an und runzelt die Nase. Er wittert Kummer, und dieser vertraute Geruch macht ihn schüchtern der Mutter gegenüber. «Papi weg?» Er ist so ein lieber Junge, daß er's ihr so mundgerecht hinlegt, sie braucht nur noch ja zu sagen.
«Nein», sagt sie. «Papi ist heute morgen ganz früh zur Arbeit gegan gen, bevor du aufgewacht bist. Er kommt zum Abendbrot zurück, wie immer.»
Das Kind sieht sie nachdenklich an, und dann plappert es hoffnungs voll nach: «Wie immer?»
Sein Kopf hat sich ganz hoch gereckt vor Besorgnis, sein Hals ist wie ein Stengel, der fast zu zerbrechlich ist, um den kugeligen Schädel zu tragen mit dem dicken Schopf zerstrubbelten Haars. «Papi kommt zurück», sagt sie noch einmal. Sie hat nun also die Last einer Lüge auf sich geladen und braucht noch ein bißchen Whisky, der ihr tragen hilft. Ein finsterer Wall ist in ihr, den sie hell machen muß, sonst bricht sie zusammen. Sie trägt das Geschirr in die Küche zurück, aber es liegt so unsicher in ihren Händen, daß sie nicht wagt, es abzuwaschen. Sie muß den Bademantel gegen ein Kleid auswechseln, denkt sie, auf dem Weg ins Schlafzimmer vergißt sie's dann freilich und schickt sich statt dessen an, das Bett zu machen. Aber in den zerdrückten Laken hockt irgend etwas, das ihr Angst macht, und sie läßt alles stehen und liegen und geht ins andere Zimmer, zu den Kindern. Es ist, als habe sie mit dem Satz, Harry werde zurückkommen wie immer, ein fremdes Wesen in die Wohnung eingelassen. Aber dies Wesen hat nichts mit Harry zu tun, es ist ein Einbrecher, ein Einbrecher, der sie hänselt und von einem Zimmer ins andere vor ihr hertanzt.
Sie nimmt das Baby wieder auf den Arm und fühlt seine nassen Beine und denkt, daß sie es trockenlegen muß, aber sie ist schlau, sie weiß, daß sie betrunken ist und es mit den Nadeln stechen könnte. Sie ist sehr stolz auf sich, daß sie so bedacht ist, und sie ermahnt sich, die Flasche jetzt in Ruhe zu lassen, dann kann sie das Kind in einer Stunde etwa trockenlegen. Sie legt die gute Becky ins Körbchen zurück und hört, wie herrlich, keinen einzigen Schrei. Sie setzt sich dann mit Nelson vor den Fernsehapparat und kriegt gerade noch den Schluß von Dave Garroway mit, und dann sehen sie ein Programm an über Elisabeth und ihren Mann, die sich mit einem Freund unterhalten, der ständig auf irgendwelchen Camping-Touren unterwegs ist, ein Junggeselle, der sich besser aufs Kochen versteht als Elisabeth. Aus irgendeinem Grund macht diese Geschichte sie so nervös, daß sie einfach aus alter Fernseh gewohnheit in die Küche geht und sich einen kleinen Drink mixt, mit ganz viel Eis aber, um das gähnende Loch damit zuzuschütten, das gerade wieder aufreißen will in ihr. Sie nimmt nur einen ganz kleinen Schluck, und wie blaues Licht läuft er ihr die Kehle hinunter, das alles klar macht. Sie muß nur über diesen einen Abgrund eine Brücke schlagen, und am Ende des Tages, nach der Arbeit, wird Harry wieder da sein, und keiner wird etwas wissen, keiner wird sich ihrer Mutter gegenüber belustigt zeigen. Sie kommt sich wie ein Regenbogen vor, der sich beschützend über Harry wölbt, und unendlich klein ist Harry unter diesem Bogen, so klein wie ein Spielzeug. Sie denkt, daß es gut wäre, wenn einer mit Nelson spielte, es bekommt ihm nicht, den ganzen Vormittag vor dem Fernsehkasten zu sitzen. Sie schaltet den Apparat aus und holt das Malbuch und die Buntstifte hervor, und dann setzen sie sich auf den Teppich, und jeder bemalt seine Seite.
Sie nimmt den Jungen mehrmals in den Arm, redet mit ihm, bringt ihn zum Lachen und ist sehr glücklich beim Malen. In der Schule ist Zeichnen das einzige Fach gewesen, vor dem sie keine Angst gehabt hat, und sie hat auch immer eine Zwei gekriegt. Sie lacht vor Entzücken über die Farbigkeit, die sie schafft: ein Bauernhof; die kleinen Stifte zwischen ihren Fingern ziehen so hübsche gerade Striche, und ihr Sohn kniet hochbeschäftigt dicht neben ihr. Der Bademantel fließt um sie her auf dem Boden, und ihr Körper scheint ihr schön und statiös. Sie rückt beiseite, um ihren Schatten vom Malbuch zu nehmen, und sieht, daß sie ein Kücken teilweise grün bemalt und keine Begrenzungslinie eingehal ten hat und daß ihr Bild überhaupt ganz scheußlich geworden ist. Sie fängt zu weinen an, es ist so unfair, es ist, als ob jemand hinter ihr stünde und ohne daß er was von diesen Dingen versteht, ihr
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