Hasenherz
Krückstocks. Rabbit geht ins Haus zurück; er ist niedergeschla gen und fühlt sich beschmutzt von diesem Besuch. Totheros Aufklä rung hat ihm angst gemacht. Er will bei seinem Glauben bleiben, daß der Himmel die Quelle aller Dinge ist.
Eccles kommt am späten Nachmittag, um die letzten Vorbereitungen für die Beisetzung zu treffen. Sie soll morgen nachmittag stattfinden, am Mittwoch. Als er wieder gehen will, fängt Rabbit ihn ab, und sie stehen eine kleine Weile zusammen im Entree. «Was meinen Sie?»
«Wozu?»
«Was ich tun soll.»
Eccles sieht nervös hoch. Er ist sehr müde, Harry hat ihn noch nie so müde gesehen. Sein Gesicht hat diese babyhafte Blässe, die immer ein Zeichen für zu wenig Schlaf ist. «Tun Sie weiter, was Sie jetzt tun», sagt er. «Seien Sie ein guter Ehemann. Ein guter Vater. Lieben Sie, was Ihnen geblieben ist.»
«Und das ist genug?»
«Sie meinen, um Vergebung zu erlangen? Ja, ich bin sicher, es ist genug, wenn man's ein Leben lang durchhält.»
«Ich meine» – er hätte nie gedacht, daß er jemals so um Eccles’ Gunst werben würde –, «erinnern Sie sich noch an die Unterhaltung, die wir mal gehabt haben? Über dies Etwas hinter allem?»
«Harry, Sie wissen, daß ich nicht glaube, daß es dies Etwas gibt, wenigstens nicht in der Form, wie Sie es sich vorstellen.»
«Schon gut.» Er fühlt, daß Eccles weg will, daß ihm sein, Harrys, Anblick peinlich und widerwärtig ist.
Eccles muß merken, daß er einen solchen Eindruck macht, denn er rafft plötzlich all sein Mitleid zusammen und unternimmt einen Ver such. «Harry, es ist nicht an mir, Ihnen zu verzeihen. Sie haben nichts getan, das ich verzeihen könnte. Ich trage genausoviel Schuld wie Sie. Wir müssen uns Vergebung erringen ; wir müssen uns das Recht verdie nen , hinter allen Dingen dieses Etwas zu sehn. Harry, ich weiß, daß Menschen zu Christus geführt werden können. Ich habe es mit meinen Augen gesehn und mit meinem Mund geschmeckt. Und ich glaube dies: Ich glaube, die Ehe ist ein Sakrament, und diese Tragödie, so furchtbar sie ist, hat auf heilige Weise Sie und Janice endlich zueinandergeführt.»
Während der nächsten Stunden klammert Rabbit sich an diesen Trost, wiewohl er so gar keine Beziehung zu haben scheint zu den Farben und Geräuschen des großen, trauernden Hauses, zu den Tupfen und Bögen des Sonnenscheins im kleinen Dschungel der Pflanzen auf dem Glastisch und zu dem wortlosen Abendessen, das er und Janice gemeinsam im Schlafzimmer einnehmen.
Er verbringt diese Nacht im Springer-Haus, schläft bei Janice. Ihr Schlaf ist so bleiern. Ein dünnes Schnarchen aus ihrem schwarzen Mund wetzt das Mondlicht und hält ihn wach. Er stützt sich auf einen Ellenbogen und betrachtet ihr Gesicht. Es ist zum Fürchten im Licht des Monds: es ist klein und mit dunklen Schatten verschmiert, die aussehen, als seien sie in eine weiche Masse gedrückt, der alle menschli che Substanz fehlt. Er nimmt ihr diesen Schlaf übel. Als die Morgen sonne kommt, wacht er auf davon, daß Janice sich herumwälzt und das Bett verläßt, und er preßt das Gesicht tiefer ins Kissen, zieht den Kopf unter die Decke und kehrt trotzig in den Schlaf zurück. Schlaf ist eine sichere Höhle. Heute ist der letzte Tag seines Ausnahmsweise-Lebens, heute ist das Begräbnis. Ab morgen ist er wieder zur Arbeit befohlen.
Er hat einen deutlichen Traum. Er ist allein auf einem weiten Sport platz oder einfach einem leeren Platz, der mit kleinen Kieseln übersät ist. Am Himmel bewegen sich zwei kreisrunde Scheiben langsam auf einander zu: sie sind gleich groß, aber die eine ist undurchsichtig und weiß, und die andere ist transparent. Die durchsichtige ist unmittelbar über der undurchsichtigen. Dann berühren sie einander, und er er schrickt, und eine Stimme, die wie aus einem Lautsprecher kommt, verkündet: «Die Schlüsselblume verschlingt den Holunder.» Die obe re Scheibe drückt immer mehr nach unten, bis die untere, obwohl sie die stärkere ist, ganz und gar verdunkelt ist und vor seinen Augen nur ein einziger Kreis noch steht, bleich und rein. Er versteht: «Die Schlüs selblume» ist der Mond und «der Holunder» ist die Sonne, und was er eben erlebt hat, ist die bildliche Darstellung des Todes. Süßes Leben, verschlungen von süßem Tod. Mit einer großen Erhebung im Herzen erkennt er, daß er sich aufmachen und eine neue Religion gründen muß. Und plötzlich hat er das belästigende Gefühl, als senkten sich die Scheiben und das
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