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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Hälfte gelähmt, aber er redet, er geht, er lebt! «He! Na, wie geht's Ihnen denn?»
    «Harry.» Mit der Hand, die sich nicht auf den Stock stützt, umschließt er Harrys Arm. Und er schickt einen langen Blick in Harrys Gesicht. Sein Mund ist auf der einen Seite nach unten verkniffen, und die Lidhaut über dem Auge auf derselben Gesichtshälfte zieht sich auch schräg nach unten, so daß der Augapfel nahezu ganz verhängt ist, und vielleicht liegt es an der schlechten Beleuchtung, aber diese ganze Seite des Gesichts hat die Farbe von Stein. Der hohle Zugriff seiner Finger zittert.
    «Setzen wir uns doch», sagt Rabbit und hilft ihm in einen Sessel. Tothero wirft ein Schondeckchen herunter, als er seine Arme placiert. Rabbit holt sich einen Stuhl und setzt sich ganz dicht neben Tothero, damit er nicht so laut zu reden braucht. «Dürfen Sie schon herumlau fen?» fragt er, als Tothero keine Anstalten macht, etwas zu sagen.
    «Meine Frau hat mich hergebracht. Im Wagen. Draußen, Harry. Wir haben von dieser entsetzlichen Geschichte gehört. Hab ich dich nicht gewarnt?» Seine Augen wölben sich wässerig vor.
    «Wann?»
    «Wann?» Die apoplektische Hälfte seines Gesichts ist abgewandt, vielleicht absichtlich, sie ist verschattet, und so wirkt sein Lächeln ganz lebendig, weise und sicher. «In der ersten Nacht damals. Ich hab gesagt, geh zurück. Ich hab dich angefleht.»
    «Ja, wahrscheinlich haben Sie das. Ich hab's vergessen.»
    «Nein, du hast es nicht vergessen, Harry.» Sein Atem keucht beim «Ha» von «Harry». «Ich möchte dir was sagen. Willst du's hören?»
    «Aber klar.»
    «Recht und Unrecht», sagt er, und dann hält er inne. Sein schwerer Kopf dreht sich herum, und die starren abwärts gezogenen Linien seines Mundes und des einen Auges treten ins Licht. «Recht und Unrecht fallen uns nicht vom Himmel runter. Wir, wir schaffen es. Gegen das Unglück. Ausnahmslos, Harry, ausnahmslos –» wie ein kleiner Junge freut er sich darüber, daß er dies schwierige Wort aus sprechen kann – «passiert ein Unglück, wenn man zwischen diesen beiden nicht unterscheidet. Nicht unbedingt für uns, oft nicht gleich für uns. Du hast jetzt selbst ein Beispiel erlebt, in deinem eigenen Leben.» Rabbit wundert sich, wann wohl die Tränenspuren auf Totheros Wangen erschienen sind, plötzlich sind jetzt welche da. «Glaubst du mir das?»
    «Ja, ja, natürlich. Ich weiß, daß es meine Schuld ist. Ich komme mir wie ein – wie ein Insekt vor, seit dies passiert ist.» Totheros sattes Lächeln vertieft sich; fast ist es, als komme ein leises zufriedenes Schnurren aus seinem Gesicht. «Ich hab dich gewarnt», sagt er wieder, aber er spricht schneller jetzt, «ich hab dich gewarnt, Harry, aber Jugend ist taub. Jugend ist unbekümmert.»
    «Aber was soll ich machen?» bricht es aus Harry heraus.
    Tothero scheint ihn nicht zu hören. «Weißt du noch? Wie ich dich angefleht habe, du sollst zurückgehn?»
    «Nein, ich weiß nicht mehr, aber es war sicher so.»
    «Gut. Ah. Du bist noch immer ein feiner Kerl, Harry. Du hast einen gesunden Körper. Wenn ich tot bin und begraben, denk daran, wie dein alter Trainer dir geraten hat, Leiden zu vermeiden. Denk daran.» Die letzten beiden Worte kommen sehr wackelig, sein Kopf hebt sich ein wenig. Aber noch im Zuge dieser jäh aufgeblühten Munterkeit steht er auf aus seinem Sessel, und kann sich vorm Vornüberkippen nur durch hastiges Ergreifen des Stockes retten. Harry springt erschrocken auf, und die beiden stehen einander sekundenlang sehr nah. Ein peinlicher Geruch geht vom schweren Kopf des Alten aus, nicht nur irgendeine üble Medizin, sondern auch eine süßliche, gemüsehafte Schalheit. «Ihr jungen Leute», sagt er, und seine Stimme hebt sich und klingt lehrerhaft: scheltend und gleichzeitig schalkhaft, ja sogar ermunternd, «ihr neigt dazu, alles zu vergessen. Nicht wahr? Ist es nicht so?»
    Aus Gott weiß welchem Grund wünscht er eine Bestätigung. «Si cher», sagt Rabbit und betet, er möge gehen.
    Er begleitet ihn zum Auto, einem blau- und cremefarbenen Dodge von siebenundfünfzig, der draußen, am gelbroten Hydranten wartet. Sehr kühl drückt Mrs. Tothero ihm ihr Beileid am Tod seiner kleinen Tochter aus. Sie sieht sehr verheert und vornehm aus. Graues Haar strähnt an ihrer feingerunzelten, silbernen Schläfe herab. Sie will weg von hier, weg mit ihrer Beute. Tothero neben ihr auf dem Vordersitz sieht wie ein schmunzelnder Gnom aus; sinnlos streichelt er die Kurve seines

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