Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
und Nelson läuft unvermittelt auf ihn zu und umarmt ihn. Er beugt sich nieder, um die Zärtlichkeit zu empfangen, und sein verwelktes Dandy-Gesicht wird zu einer ausdruckslosen Scheibe an des Jungen Wange. Seine leer starrenden Augen sind auf Rabbits Schuhe gerichtet, und große, viereckige, schwarze Manschettenknöpfe mit schmalem Goldrand und einem goldenen S in der Mitte kriechen ihm aus den Jackettärmeln heraus, als er die Arme um das Kind legt.
    Nelson führt seinen Vater zur Treppe, und sie müssen an dem Zimmer vorbei, in dem Mrs. Springer sich aufhält. Rabbit nimmt flüchtig ein geschwollenes, tränennasses Gesicht wahr, hastig wendet er die Augen ab. Aber er flüstert Nelson zu, er solle zu ihr gehen und ihr einen Gutenachtkuß geben. Als der Junge dann zurückkommt, gehen sie die Treppe hinauf, einen geraden Flur entlang, der mit einer Tapete voller altmodischer Autotypen ausgeschlagen ist, und dann treten sie in ein kleines Zimmer mit weißen Fenstervorhängen, die einen grünlichen Schimmer bekommen von einem Baum draußen. Zu beiden Seiten dieses Fensters hängen Bilderpaare, teils Kätzchen, teils junge Hunde. Rabbit denkt, ob dies wohl Janices Kinderzimmer war? Es strömt modrige Unschuld aus und hat etwas Unbestimmtes, Wartendes, so, als habe es lange Jahre leer gestanden. Ein alter, einäugiger Teddybär mit bis auf die Haut abgewetztem Pelz sitzt in einem kaputten Kinder schaukelstuhl. War dies Janices Zimmer? Wer hat dem Bären das Auge ausgerissen? Nelson wird sonderbar willenlos in diesem Zimmer, Har ry entkleidet den kleinen schläfrigen Körper, der ganz braun ist bis auf den schmalen Hintern, steckt ihn in den Schlafanzug und dann ins Bett und zieht die Decken über ihn. «Du bist ein lieber Junge», sagt er.
    «Mhm.»
    «Ich muß jetzt gehn. Brauchst keine Angst zu haben.»
    «Papi weg?»
    «Damit du schlafen kannst. Ich komm wieder.»
    «Ja, gut.»
    «Gut.»
    «Papi.»
    «Was denn?»
    «Ist Baby Becky tot?»
    «Ja.»
    «Hat sie Angst gehabt?»
    «O nein. Nein. Sie hat keine Angst gehabt.»
    «Ist sie glücklich?»
    «Ja, sie ist jetzt sehr glücklich.»
    «Gut.»
    «Mach dir keine Sorgen darüber.»
    «N-n.»
    «Deck dich schön zu.»
    «Mhm.»
    «Denk an Steinchenwerfen.»
    «Wenn ich groß bin, dann werf ich ganz weit.»
    «Ja, das tust du. Aber du kannst jetzt schon ganz schön weit werfen.»
    «Ich weiß.»
    «Na, dann schlaf jetzt schön.»
    Springer wäscht gerade ab in der Küche, und Rabbit fragt: «Sie wollen sicher nicht, daß ich heute abend hierbleibe, oder?»
    «Nein, heute abend nicht, Harry, es tut mir leid. Ich glaube, es ist besser, wenn Sie heute abend nicht hierbleiben.»
    «Klar, natürlich. Ich geh in die Wohnung. Soll ich morgen früh wiederkommen?»
    «Ja, bitte. Sie können hier frühstücken.»
    «Nein, ich möchte nichts. Ich möchte nur zu Janice, wenn sie auf wacht.»
    «Ja, selbstverständlich.»
    «Sie meinen, sie schläft die Nacht durch?»
    «Ich denke schon.»
    «Äh – es tut mir leid, daß ich heute nicht ins Geschäft gekommen bin.»
    «Ach, das ist doch unwichtig.»
    «Sie brauchen mich morgen nicht bei der Arbeit, oder?»
    «Natürlich nicht.»
    «Ich hab die Stelle doch noch, oder?»
    «Natürlich.» Er spricht vorsichtig, seine Augen fliegen nervös hin und her: er fühlt, daß seine Frau zuhört.
    «Sie sind schrecklich gut zu mir.»
    Springer antwortet nicht. Harry geht durch die Veranda hinaus, damit er Mrs. Springers Gesicht nicht noch einmal zu sehen braucht, er geht ums Haus herum und schlägt seinen Weg zur Wohnung ein im suppigen, klingenden Dunkel. Er schließt die Tür auf und knipst alle Lampen an, so schnell er nur kann. Er geht ins Badezimmer, das Wasser steht noch in der Wanne. Ein bißchen ist weggesickert, so daß die Wasseroberfläche sich jetzt einen Zoll breit unter einer leichtgrauen Linie längs der Emaillewände spannt, aber trotzdem ist die Wanne noch mehr als halb voll. Eine schwere, stille Masse, dies Wasser, ohne Ge ruch, ohne Geschmack, ohne Farbe, sie entsetzt ihn wie die Gegenwart einer schweigenden Person im Badezimmer. Reglosigkeit überzieht die Oberfläche mit toter, starrer Haut. Sogar Staub scheint sich drauf gesammelt zu haben. Er krempelt den Ärmel auf, taucht die Hand hinein und zieht den Stöpsel heraus. Das Wasser gerät in kreisende Bewegung und gurgelt und keucht durchs Abflußrohr. Er sieht dem Wasserspiegel zu, der langsam und stetig immer tiefer fällt an der Wannenwand, bis mit einem irren, strudelnden

Weitere Kostenlose Bücher