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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Schrei der letzte Rest aufgesogen wird. Er denkt, wie leicht das zu machen gewesen ist, aber Gott in seiner Allmacht hat nichts getan. Dabei wäre nur dieser kleine Gummistöpsel herauszuziehen gewesen.
    Im Bett dann merkt er, wie sehr ihn die Beine schmerzen von all dem vielen Gehen in Brewer heute. Seine Schienbeine fühlen sich zersplittert an. Wie immer er sich hinlegt: nach einem Augenblick der Erleichte rung, die ihm die Bewegung schafft, kommt der Schmerz zurückgekro chen. Er versucht es mit dem Beten, um sich zu entspannen, aber es funktioniert nicht. Es gibt keine Verbindung. Er öffnet die Augen und sieht zur Decke hinauf, und die Dunkelheit ist von einem unregelmäßi gen Netzwerk von Adern durchflochten, wie das gelbblaue Netz, das über der Haut seiner Tochter gelegen hat. Er denkt daran, wie er ihr akkurates rotes Profil durch die Glasscheibe in der Klinik gesehen hat, und eine hohe Woge des Entsetzens durchschwemmt ihn, er wühlt sich wie rasend aus dem Bett heraus und knipst die Lampen an. Das elektri sche Gleißen scheint ganz dünn. Die Leistengegend tut ihm so weh, daß er weinen möchte. Nicht einmal die Hand wagt er ins Badezimmer zu stecken; er fürchtet, wenn er das Licht andreht, wird er auf dem Boden der leeren Wanne einen winzigen, runzligen, blauen Leichnam liegen sehen, das Gesicht nach oben gekehrt. Die Angst schlägt sich ihm so heftig auf die Nieren, daß er schließlich gezwungen ist, das Wagnis zu unternehmen. Der dunkle Grund der Wanne springt ihm leer und weiß entgegen. Er denkt, daß er nie wird einschlafen können, und als er aufwacht von schräg einfallenden Sonnenstrahlen und zuschlagenden Türen un ten im Haus, fühlt seine Seele sich betrogen vom Körper. Er zieht sich in fliegender Hast an. Sein Entsetzen ist größer jetzt als zu irgendeiner Zeit am gestrigen Tag. Das Geschehene wird faßbarer. Unsichtbare Kissen pressen sich gegen seine Kehle und schieben sich ihm zwischen die Beine und Arme. Die Schlinge in seiner Brust ist dick und krustig geworden. , sagt er immer wieder stumm zu niemandem.
    Er geht zum Haus der Springers; die Tonart hier hat gewechselt. Er spürt, daß alles ein wenig zusammengerückt ist, damit ein Plätzchen frei wird, und wenn er sich ganz klein macht, darf er's einnehmen. Mrs. Springer stellt ihm einen Orangensaft hin und Kaffee und redet sogar, wenn auch leise.
    «Möchten Sie Sahne?»
    «Nein, nein. Ich trink ihn schwarz.»
    «Wir haben aber Sahne, wenn Sie welche möchten.»
    «Nein, wirklich nicht. Danke.»
    Janice ist wach. Er geht nach oben und legt sich neben sie aufs Bett. Sie klammert sich an ihn und schluchzt in die Mulde zwischen seiner Schulter und seinem Kinn und dem Laken. Ihr Gesicht ist geschrumpft, ihr Körper ist so klein wie der eines Kindes und heiß und hart. Sie sagt: «Ich kann’s nicht ertragen, irgend jemanden zu sehn, außer dir. Ich kann’s nicht ertragen, die andern anzusehn.»
    «Es war nicht deine Schuld», sagt er, «es war meine.»
    Sie halten sich aneinander fest in ihrer gemeinsamen Finsternis; er fühlt, wie die Mauern zwischen ihnen von einer schwarzen Flut einge rissen werden; aber der tausendfache Knoten der Angst in seiner Brust bleibt.
    Er verbringt den ganzen Tag in diesem Haus. Besucher kommen und gehen auf Zehenspitzen umher. Ihr Verhalten läßt darauf schließen, daß Janice oben sterbenskrank ist. Und sie hocken in der Küche, diese Frauen, und trinken Kaffee mit Mrs. Springer, deren kleine rundliche Stimme merkwürdig mädchenhaft klingt, wenn sie losgelöst ist vom Anblick der ganzen Person; und diese Stimme seufzt und jammert in einem fort, lauter unartikulierte Laute, wie das Klagelied eines uralten Stammes. Peggy Fosnacht kommt, ohne Sonnenbrille, ihre glasigen Augen wild und weit der Welt geboten; sie geht nach oben. Ihr Sohn Billy spielt mit Nelson, und niemand rührt sich, dem Wut- und Schmerzgekreische der beiden draußen im Garten Einhalt zu gebieten, und da es so unbeachtet bleibt, versickert es nach einiger Zeit, und einen Augenblick später sprudelt Gelächter hervor. Auch Harry bekommt Besuch. Die Türglocke läutet, Mrs. Springer öffnet und kommt dann in das dunkle Zimmer, in dem Harry sitzt und Zeitschriften durchblättert, erstaunt und beleidigt sagt sie: «Ein Mann für Sie.»
    Sie tritt aus der Zimmertür, und Harry steht auf und geht ein paar Schritte dem Mann entgegen, der durch den Korridor kommt: Tothero, auf einen Stock gestützt, das Gesicht zur

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