Hasenherz
ein barmherziger Mensch.» Der Klang seines Namens in ihrem Mund berührt sein Ohr mit verwirren der Wärme.
«Warum hat sie ihn geschlagen?» fragt er und kichert vor Angst, daß ihre Hände, die noch auf seinem Arm liegen, ihn scherzhaft in die Seite greifen könnten. Aus der Art, wie sie seinen Arm umspannen, schließt er, daß es durchaus möglich ist.
«Es macht ihr Spaß, Leute zu schlagen. Sie hat mich auch mal geschlagen.»
«Na gut, aber Sie haben sie wahrscheinlich dazu herausgefordert.»
Sie legt ihre Hände auf den Tisch zurück. «Er auch. Er findet es fein, geschlagen zu werden.»
«Kennen Sie ihn?» fragt er.
«Sie hat mir von ihm erzählt.»
«Na ja, dann können Sie's also nicht wissen. Dies Mädchen ist dumm.»
«Und wie. Sie ist dümmer, als Sie sich vorstellen können.»
«Doch, ich kann’s mir vorstellen. Ich bin nämlich mit ihrer Zwil lingsschwester verheiratet.»
«Ohhh. Verheiratet.»
«He, wie ist das mit Ronnie Harrison? Kennen Sie ihn?»
«Wie ist das mit ihrem Verheiratetsein?»
«Ich war's. Das heißt, ich bin's noch.» Er bereut es, daß er das Gespräch darauf gebracht hat. Eine hohe Welle, eine ungeheure Welle überschwemmt sein Herz. Er kommt sich vor wie früher, als er noch ein kleiner Junge war und abends, nach einem verspielten Samstagnach mittag nach Haus lief und dachte, daß dies alles – die Bäume, das Straßenpflaster – das Leben war, das Wahre und Einzige.
«Wo ist sie?»
Das macht es noch schlimmer, daß er plötzlich darüber nachdenken muß, wo Janice ist. «Wahrscheinlich bei ihren Eltern. Ich hab sie gestern abend zuletzt gesehen.»
«Oh, dann ist dies nur ein Ausflug. Sie haben Sie nicht verlassen.»
«Ich glaube doch.»
Der Kellner bringt ihnen einen Teller mit Sesamkeksen. Rabbit nimmt sich einen, um zu probieren. Er denkt, sie sind hart, und freut sich, als er ihn im Mund zu einer sanften, elastischen Gallertmasse zerschmelzen fühlt, durch die Kruste aus milden Samenkörnern hin durch. Der Kellner fragt: «Kommen sie nicht wieder, Ihre Freunde?»
«Schon in Ordnung, ich zahle alles», sagt Rabbit.
Der Chinese nickt und zieht sich zurück.
«Sie sind reich?» fragt Ruth.
«Nein, arm.»
«Wollen Sie wirklich in ein Hotel gehn?» Sie nehmen sich beide mehrere Sesamkekse. Zwanzig etwa liegen auf dem Teller.
«Ich nehme an. Ich will mit Ihnen über Janice reden. Ich habe nie daran gedacht, sie zu verlassen, bis zu dem Augenblick, als ich es tat. Da auf einmal gab's gar keine andere Möglichkeit. Sie ist etwa eins fünf undsechzig groß, ein dunkler Typ ...»
«Ich will das nicht wissen.» Ihre Stimme klingt entschieden. Ihr vielfarbiges Haar taucht in einen einheitlichen dunklen Schatten, als sie den Kopf zurückwirft und ins Deckenlicht blinzelt. Der Lichtschein hat ihrem Haar besser gestanden als ihrem Gesicht: auf der Rabbit zugekehrten Seite ihrer Nase blühen ein paar Pickelchen, die kleine Hügel bilden unter dem Puder.
«So, Sie wollen das nicht wissen», sagt er. Die Welle flutet weg von seinem Herzen. Wenn es niemanden sonst beunruhigt, warum soll er sich dann Gedanken machen? «Okay, worüber wollen wir uns dann unterhalten? Wieviel wiegen Sie?»
«Hundertvierzig.»
«Ruth, Sie sind ja zum Umpusten. Sie sind gerade ein Weltergewicht. Im Ernst. Niemand will, daß Sie nur aus Haut und Knochen bestehen. Jedes Pfund, das Sie am Körper haben, ist Gold wert.»
Er plappert einfach aus Fröhlichkeit so dahin, aber irgendwie scheint sie das, was er sagt, in Harnisch zu bringen. «Finden Sie nicht, daß Sie sehr neunmalklug quatschen?» fragt sie und hält sich das leere Glas vor die Augen, eine flache Schale auf kurzem Stiel. Wie ein Eisbecher auf feinen Geburtstagsparties sieht es aus. Blasse Lichtbögen wirft es auf ihr Gesicht.
«Sie wollen also auch nicht über Ihr Gewicht sprechen. Soso.» Er steckt sich wieder einen Sesamkeks in den Mund und wartet, bis der erste Genuß, der erste Geschmack der Gallertmasse, abklingt. «Versu chen wir's mal hiermit. Was Sie unbedingt brauchen, Mrs. Amerika, ist der Zauberküchenschäler. Er erhält Ihnen alle Vitamine. Bewahrt Sie vor übermäßigem Fettansatz. Eine einzige Drehung der Plastikhaube, und Sie können Mohrrüben schaben und die Bleistifte ihres Gatten spitzen. Eine Unzahl von nützlichen Eigenschaften sind hier vereint.»
«Lassen Sie das. Seien Sie nicht witzig.»
«Gut, gut.»
«Wir wollen nett sein.»
«Okay, Sie fangen an.»
Sie nimmt sich einen Keks und sieht Rabbit mit
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