Hasenherz
sich», sagt sie, und das trifft ihn wie ein Schlag. So ungeschminkt will er sie nicht sehen. Es erschreckt ihn, sie so zu sehen. Es macht sie in Sachen Liebe so unabsehbar.
«Da sind wir», sagt sie. Das Haus, vor dem sie stehen, ist aus Backstein, wie alle auf der Westseite der Straße. Eine klotzige Kalksteinkirche hängt wie ein grauer Vorhang im Laternenlicht. Sie gehen unter der bunten Lünette hindurch ins Haus. Im Vestibül hängen Briefkästen aus Messing, und darunter sind in einer Reihe Klingeln angebracht, und ein lackierter Schirmständer steht herum, und eine Gummifußmatte liegt auf dem Marmorboden, und zwei Türen gibt es, eine rechts mit Milchglasscheiben und eine geradeaus mit Drahtglas scheiben, durch die Rabbit eine mit Gummi belegte Treppe sieht, und Ruth sucht nach dem Schlüssel für diese zweite Tür. Unterdessen liest Rabbit das goldene Namensschild an der anderen: «Dr. med. F. X. Pelligrini.» «Alter Fuchs», sagt Ruth und geht ihm voran, die Treppe hinauf.
Sie wohnt im ersten Stock. Ihre Tür ist ganz am äußersten Ende eines Linoleum-Korridors, nah an der Straße. Rabbit steht hinter ihr, als sie den Schlüssel ins Schloß zu bugsieren versucht. Und jäh, im kalten Licht der Straßenlampe, das durch die vier blakigen Scheiben des Fensters neben ihm einfällt, durch blaue Scheiben, die so dünn aussehen, daß man meint, bei der bloßen Berührung mit dem Finger müßten sie zerspringen, fängt er an zu zittern, erst seine Beine und dann seine Flanken. Der Schlüssel paßt, und die Tür springt auf.
Sie sind kaum in der Wohnung, und Ruth tastet nach dem Lichtschal ter, da schlägt er ihren Arm herunter, zieht sie an sich und küßt sie. Es ist Wahnsinn, er will sie zermalmen, ein kleiner Motor zwischen seinen Rippen treibt ihn zu immer heftigerer Umarmung an, zu immer wilde rem Druck, es ist keine Liebe darin, keine Liebe, die an der Haut entlangglitzert und -gleitet, er denkt nicht an ihrer beider Haut, ihr Herz, ihr Herz will er mit dem seinen verschmelzen, um ihr Frieden zu geben. Und es ist natürlich, daß sie erstarrt in einer solchen Umarmung. Das kleine feuchte Kissen schlaffer Bereitschaft, mit dem ihre Lippen die seinen empfangen haben, verdorrt und wird hart; sobald sie ihren Kopf und die Hände freibekommen hat, drückt sie ihre Handfläche gegen seinen Unterkiefer und stößt seinen Kopf zurück, als wolle sie ihn in den Korridor hinausschleudern. Ihre Finger krümmen sich da bei, und ein langer Nagel reißt über die zarte Haut unter Rabbits Auge. Er läßt sie los. Das beinah ausgestochene Auge tränt, und eine Sehne hinten am Hals tut weh.
«Verschwinde», sagt sie; ihr klobiges, verstörtes Gesicht ist häßlich im Lichtschein, der vom Korridor einfällt.
Rabbit schwingt mit dem Bein nach hinten aus und stößt die Tür zu.
«Nein», sagt er. «Ich mußte dich in den Arm nehmen.» Durch die Dunkelheit sieht er, daß sie Angst hat; ihr schwerer schwarzer Schatten hat eine Höhlung, die er mit seinen Instinkten abtasten kann, wie man mit der Zunge das Loch befühlt, das nach einem gezogenen Zahn zurückbleibt. Die Luftströmung sagt ihm, daß er sich nicht bewegen darf. Er möchte lachen, ganz ohne Grund. Ihre Angst und das, was er weiß, dies beides paßt nicht zusammen. Er weiß, daß nichts Böses an ihm ist.
«In den Arm nehmen», sagt sie. «Es fühlte sich mehr nach Umbrin gen an.»
«Ich habe dich den ganzen Abend so geliebt», sagt er. «Ich mußte es rauskriegen aus meinem System.»
«Euer System kenne ich. Einmal spritzen und fertig.»
«Bei mir wird es nicht so sein», verspricht er.
«Besser, es wird so sein. Ich will, daß du hier verschwindest.»
«Nein, das willst du nicht.»
«Ihr glaubt immer alle, daß ihr so herrliche Liebhaber seid.»
«Ich bin's», versicherte er, «ich bin ein Liebhaber.» Und von einer Woge von Alkohol und aufgerührtem Samen getragen, macht er wie im Rausch einen Schritt vorwärts. Sie weicht zurück, aber nicht so hastig, daß er nicht spüren könnte, wie die Kerbe der Angst sich schließt. Das Zimmer, in dem sie stehen, er sieht's im Straßenlicht, ist klein und mit zwei Sesseln, einer Bettcouch und einem Tisch möbliert. Sie geht ins angrenzende Zimmer, das ein wenig größer ist und ein Doppelbett beherbergt. Das Rouleau ist halb herabgelassen, und blasses Licht gibt jedem Quadrathügelchen auf der Bettdecke einen Schatten.
«Na schön», sagt sie. «Du kannst dich da reinlegen.»
«Wohin gehst du?» Ihre Hand
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