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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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einem sonderbaren, vollippigen Lächeln an, ihre Mundwinkel sind fest nach unten gezogen, ihr ganzes Gesicht strengt sich zur Freundlichkeit an, während sie kaut. Sie schluckt, ihre blauen Augen sind weit und rund, sie schnappt kurz nach Luft, und er denkt, sie will gleich eine Bemerkung machen, aber statt dessen lacht sie, ihm direkt ins Gesicht. «Warten Sie», sagt sie. «Ich will's versuchen.» Und sie schaut wieder in den Kelch ihres Glases und denkt nach, und das einzige, was ihr schließlich einfällt, ist: «Gehn Sie nicht ins Hotel.»
    «Mir bleibt nichts anderes übrig. Nennen Sie mir ein anständiges.» Instinktiv fühlt er, daß sie sich auskennt mit Hotels. Seitlich an ihrem Hals, dort, wo er zur Schulter hinschattet, ist eine flache, weiße Mulde, und dahinein kuschelt sich seine Aufmerksamkeit und nistet sich ein.
    «Sie sind alle teuer», sagt sie. «Alles ist teuer. Sogar meine kleine Wohnung ist teuer.»
    «Wo ist Ihre Wohnung?»
    «Oh, ein paar Straßenecken weiter. In der Summer Street. Eine Etage hoch, über einem Arzt.»
    «Und sie gehört Ihnen allein?»
    «Mhm. Meine Freundin hat geheiratet.»
    «Sie sitzen jetzt also mit der gesamten Miete allein da und arbeiten nichts.»
    «Womit Sie was sagen wollen?»
    «Nichts. Sie haben gerade vorhin gesagt, daß Sie nichts tun. Wieviel kostet's?»
    Sie sieht ihn an mit einem sonderbaren Blick, mit einem Blick voller Wachsamkeit, den er vorhin schon, draußen bei den Parkuhren, an ihr beobachtet hat.
    «Die Wohnung», sagt er.
    «Hundertzehn im Monat. Und dann kommt noch Licht und Gas dazu.»
    «Und Sie arbeiten nichts.»
    Sie starrt in ihr Glas, bewegt es in der Hand hin und her, so daß das aufgefangene Licht um seinen Rand flimmert.
    «Was denken Sie gerade?» fragt Rabbit.
    «Ich wundere mich nur.»
    «Worüber wundern Sie sich?»
    «Wie intelligent Sie sind.»
    In dieser Sekunde, Rabbit rührt sich nicht, weiß er, woher der Wind weht. Von daher also. Er hat es sich nur noch nicht klargemacht. Er sagt: «Passen Sie auf, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich möchte gern zu Ihrer Miete etwas beisteuern.»
    «Warum wollen Sie das?»
    «Mein gutes Herz», sagt er. «Zehn.»
    «Ich brauche fünfzehn.»
    «Für Licht und Gas. Okay, okay.» Er ist unsicher, was jetzt zu tun sei. Sie sitzen beide da und starren auf den leeren Teller, der vor einiger Zeit von einer Kekspyramide übertürmt gewesen ist. Sie haben alle aufgegessen. Der Kellner guckt überrascht, als er kommt; seine Augen wandern vom Teller zu Rabbit und von Rabbit zu Ruth, und alles innerhalb einer Sekunde. Die Zeche beläuft sich mittlerweile auf neun Dollar sechzig. Rabbit legt einen Zehner und einen Einer auf die Rechnung und daneben plaziert er noch einen Zehner und einen Fünfer. Dann zählt er nach, was in seiner Brieftasche übriggeblieben ist: drei Zehner und vier Einer. Als er wieder aufsieht, ist das für Ruth bestimmte Geld vom glattpolierten Tisch verschwunden. Er steht auf und nimmt ihren kleinen weichen Mantel und hält ihn ihr hin, und wie ein großer grüner Fisch wölbt sie sich auf dem Tisch, seine Beute, gleitet aus der Nische heraus und läßt sich kühl von ihm in den Mantel helfen. Zehn Cents pro Pfund, überschlägt er. Die Zeche nicht eingerechnet. Er nimmt die Rechnung zum Zahltisch mit und reicht dem Mädchen den Zehner hin. Stirnrunzelnd kramt sie nach dem Wechselgeld. Die beängstigende Leere ihrer Augen ist pedantisch mit schwarzer Tusche umrahmt. Die purpurne Schlichtheit ihres Kimonos paßt ganz und gar nicht zu ihrem krausen, dauergewellten Haar und dem geschminkten, konkaven, geplünderten Gesicht. Sie legt ihm das Wechselgeld auf die rosa Zinken der kleinen Gummimatte; und er schnippt mit den Fingern und legt noch den einen Dollar dazu und nickt zum jungen chinesi schen Kellner hin, der neben dem Mädchen hockt und alles aufmerksam verfolgt. «Danke vielmals, der Herr. Danke vielmals», sagt der Junge zu ihm. Aber seine Dankbarkeit reicht nicht einmal so lange vor, bis sie außer Sicht sind. Als sie auf die Glastür zugehen, wendet er sich der Kassiererin zu und beendet mit hoher, vollendet modulierter Stimme seine Geschichte: «– und darauf sagt dieser andere Kerl: »
    Mit dieser Ruth nun tritt Rabbit auf die Straße. Rechts von ihm – linker Hand liegt der Berg – leuchtet das Herz der Stadt. Ein Lichterge misch: der Neonröhren-Umriß eines Stiefels, einer Erdnuß, eines Zylinders, einer enormen steilen

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