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Hasenherz

Hasenherz

Titel: Hasenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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dreht sich heftig um in dem Kippsessel, aber erhebt sich nicht, um nachzusehen, warum der Junge so schreit. Eccles, der an der Scheibe sitzt, sieht es. Der Fosnacht-Junge steht an der Schaukel und hält zwei rote Plastikautos in der Hand. Angstroms Sohn, der ein paar Zentimeter kleiner ist, trommelt mit der flachen Hand gegen den Brustkasten des anderen, wagt aber nicht, einen Schritt näher auf ihn zuzugehen und ihn richtig zu schlagen. Der junge Fosnacht steht da, mit der enervierenden Unverwundbarkeit der Dummen, sieht auf die dreschende Hand und das verzerrte Gesicht des Jüngeren nieder, und nicht einmal das Lächeln der Genugtuung steht auf seinem Gesicht: ein wahrer Wissenschaftler, der ohne jede Gefühls regung die Wirkung seines Experiments beobachtet. Mrs. Springers Stimme schwillt zu wütender Härte und schneidet sich durchs Glas: «Hast du gehört, ich habe gesagt, du sollst mit diesem Gebrüll aufhören!»
    Nelson wendet das Gesicht zur Veranda hinauf und versucht zu erklären: «Pilly hat – Pilly –» Aber allein der Versuch, die Ungerechtig keit zu schildern, gibt ihr erdrückendes Gewicht. Als werde er von hinten gestoßen, torkelt er vorwärts, drischt auf die Brust des Diebes ein und erhält einen milden Stoß, der ihn zu Boden schickt. Er rollt sich auf den Bauch und kullert ins Gras, getrieben von seinem ruckartigen Schluchzen. Eccles hat das Gefühl, als krümme sein Herz sich mit dem Körper des Jungen; er weiß so gut, wie heftig sie ist, die Gewalt eines Unrechts, wie die Seele gegen sie ankämpft, und wie jeder vergebliche Schlag die Luft leerer saugt, bis es scheint, das ganze Gerüst aus Blut und Knochen müsse sich ins Universum zersprengen, das zu einem solchen Vakuum geworden ist. «Der Große hat ihm sein Auto wegge nommen», erklärt er Mrs. Springer.
    «Na, dann soll er sich’s zurückholen», antwortet sie. «Er muß das lernen. Ich kann nicht jede Minute rauslaufen, so wie meine Beine beieinander sind. Den ganzen Nachmittag führen die beiden sich schon so auf.»
    «Billy.» Überrascht sieht der Junge zu dieser männlichen Stimme hoch. «Gib es zurück», befiehlt Eccles. Billy erwägt diesen neuen Sachverhalt und zögert unentschlossen. «Wird's bald?» Das ist über zeugend; Billy geht zu seinem schluchzenden Spielkameraden und läßt das Auto pedantisch auf dessen Kopf niederfallen.
    Dieser neue Schmerz wühlt neues Leid in Nelsons Brust auf, aber als er das Auto neben seinem Kopf im Gras liegen sieht, verstummt er. Er braucht einen Augenblick, um zu realisieren, daß die Ursache seines Kummers beseitigt ist, und einen weiteren Augenblick, um der Bewe gung in seinem Körper Herr zu werden. Es ist, als werfe sich die geschorene Rasendecke auf und als zittere sogar der Sonnenschein bei Nelsons ungeheuren, trocken-schluchzenden Atemzügen. Die Wespe, die schon lange gegen die Verandascheiben bumst, taucht plötzlich, und der Aluminiumstuhl bockt unter Eccles; als nehme die ganze weite Welt daran teil, wie Nelson sich sammelt.
    «Ich weiß nicht, warum der Junge so ein Weichling ist», sagt Mrs. Springer. «Aber vielleicht weiß ich's doch.» Dieser hinterhältige Nachsatz ärgert Eccles. «Warum?» Die violette Haut unter ihren Augen zieht sich hoch, und ihre Mundwinkel senken sich in einem abschätzenden, finsteren Ausdruck. «Tja, er ist eben wie sein Vater: verzogen. Es wird zu viel aus ihm gemacht, und nun denkt er, er kann von der Welt verlangen, was er will.»
    «Es war aber die Schuld des andern Jungen. Nelson wollte nur haben, was ihm gehört.»
    «Ja, und ich nehme an, Sie denken wie sein Vater, daß Janice an allem schuld hat.» Sie spricht den Namen «Janice» mit deutscher Saftigkeit aus, «Tschänniss», und das Mädchen wird statiöser, dunkler, kostbarer und bedeutender dadurch und entspricht keineswegs dem mickerigen, rührenden Eindruck, den Eccles von ihr gewonnen hat. Er überlegt, ob die Mutter nicht vielleicht recht hat, ob er nicht inzwischen ins andere Lager übergewechselt ist.
    «Nein, das denke ich nicht», sagt er. «Es gibt gar keine Entschuldi gung für sein Verhalten nach meiner Meinung. Das heißt aber nicht, daß es keine Gründe dafür gäbe, Gründe, die zum Teil von ihrer Tochter hätten beachtet werden sollen. Ich gehöre einer Kirche an, die glaubt, daß wir alle verantwortliche Geschöpfe sind, verantwortlich für uns selbst und für den andern.» Diese so sorgfältig gesetzten Worte schmecken kreidig in seinem Mund. Er wollte, sie würde

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