Hasenherz
ihm etwas zu trinken anbieten. Der Frühling wird heiß.
Die alte Zigeunerin wittert seine Unsicherheit. «Das spricht sich leicht daher», sagt sie. «Aber es ist wohl nicht so leicht, diesen Stand punkt zu beziehen, wenn man im neunten Monat ist, aus anständigem Haus stammt und wenn der Ehemann ein paar Kilometer weiter mit so 'ner Fledermaus rumpoussiert und jeder das für die komischste Angelegenheit hält, die ihm je begegnet ist.» Das Wort «Fledermaus» schnellt durch die Luft, flink und schwarz, als sei es tatsächlich eine. «Niemand denkt, daß es komisch ist, Mrs. Springer.» «Sie hören nicht den Klatsch, den ich zu Ohren kriege. Sie sehn nicht, wie die Leute grinsen. Neulich hat eine Frau zu mir gesagt, dem Sinn nach wenigstens: wenn sie ihn nicht halten kann, dann hat sie auch kein Recht auf ihn. Sie hat dann noch die Unverfrorenheit besessen, mir mitten ins Gesicht zu grinsen. Ich hätte sie erwürgen können. Ich hab zu ihr gesagt: Frauen wie diese Person, die sind es, die den Männern zu den Ansichten verhelfen, die sie haben: daß die Welt rein zu ihrem eigenen Vergnügen geschaffen ist. Und so, wie Sie sich verhalten, scheinen Sie auch dieser Meinung zu sein. Wenn die Welt sich langsam mit Harry Angstroms bevölkert, was glauben Sie wohl, wie lange sie dann noch Ihre Kirche braucht?»
Sie hat sich aufgerichtet, und ihre dunklen Augen sind mit Tränen lackiert, die aber nicht rollen. Ihre Stimme ist hoch und schneidend geworden und schrapt wie eine Feile über Eccles’ Gesicht; er hat das Gefühl, als sei es schon völlig zerschnitten. Was sie da gesagt hat vom Grinsen und vom Klatsch über diese Affäre, hat ihn jäh in eine er schreckende Wirklichkeit versetzt, in eine Wirklichkeit, die er genauso zu spüren bekommt, wenn die Hunderte von Gesichtern zu ihm hin aufstarren, Sonntag morgens um halb zwölf, wenn er die Kanzel be steigt und der Predigttext ihm aus dem Gehirn tropft und die Stichwor te sich als barer Unsinn herausstellen. Er tastet sich durch diese Gedanken und schafft es endlich zu sagen: «Ich habe das Gefühl, daß Harry in mancher Beziehung ein besonderer Fall ist.»
«Das einzig Besondere an ihm ist, daß es ihm völlig gleichgültig ist, wem er weh tut und wie sehr er jemandem weh tut. Ich will Sie jetzt nicht beleidigen, Reverend Eccles, ich glaube ja auch, daß Sie Ihr Bestes getan haben, wenn man bedenkt, wie sehr Sie sich mit dieser Angele genheit beschäftigen, aber, nichts für ungut, ich wollte, ich hätte damals in der Nacht die Polizei gerufen, wie ich's vorhatte.»
Ihm ist, als meine sie, sie wolle die Polizei holen, um ihn arretieren zu lassen. Warum auch nicht? Mit jedem Wort, das er spricht, fälscht er Gottes Namenszug, so, wie er dasitzt, mit dem weißen Kragen um den Hals. Er knöpft den Kindern Vertrauen ab, die er unterrichten soll. Er mordet jeden Glauben im Herzen desjenigen, der seinem Geschwätz zuhört. Er begeht Betrug mit jedem eingelernten Satz, dessen er sich beim Gottesdienst bedient, auch wenn er «Vater unser» sagt; denn in seinem Herzen kennt er den wirklichen Vater, dem er dienen möchte und immer hat dienen wollen. Als er Mrs. Springer fragt: «Was könnte die Polizei ausrichten?», ist ihm, als meine er damit: Was könnte sie bei mir ausrichten?
«Ja, das weiß ich nicht, aber vermutlich mehr als Golf spielen.»
«Ich bin ganz sicher, daß er zurückkommt.»
«Das sagen Sie jetzt seit zwei Monaten.»
«Ich glaube es immer noch.» Aber er glaubt es nicht, er glaubt nichts. Schweigen.
«Würden Sie» – ihre Stimme klingt verändert, klingt plötzlich lie benswürdig – «würden Sie mir den Hocker da in der Ecke holen? Ich muß meine Beine hochlegen.»
Er blinzelt, seine Wimpern verhaken sich dabei. Er rappelt sich hoch aus seiner Betäubung und holt den Hocker und stellt ihn ihr hin. Ihre dicken Schienbeine in den grünen kindlichen Socken heben sich müh sam, und er schiebt ihr den Hocker unter die Fersen, und als er sich niederbückt, kommen ihm die religiösen Drucke in den Sinn, die Christus darstellen, wie er Bettlern die Füße wäscht, und eine neue Welle der Kraft durchströmt seinen Körper. Er richtet sich auf und steht hoch vor ihr. Sie zupft sich den Rocksaum über die Knie.
«Danke», sagt sie, «das ist wirklich eine Erleichterung.»
«Ich fürchte, es ist auch die einzige, die ich Ihnen verschaffen konnte», gibt er mit einer Schlichtheit zu, die er –
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