Hass
durchnässten Sachen. Sie würden schon wieder trocknen. Aber es gab keinerlei Hoffnung für die teure Wollhose, die er auch schon zu seiner Hochzeit vor sechs Jahren getragen hatte und bei der Abschlussfeier der FBI-Academy, bei zwei Begräbnissen und heute Abend, bei seiner ersten Verabredung seit viel zu langer Zeit. Anstelle der Boxershorts zog er jetzt einen Baumwollslip an, ein weißes T-Shirt und einen dunkelblauen Kaschmirpullover, der sich auf seiner Haut wie eine Sünde anfühlte. Die Hose war zu weit, aber er machte einfach den Gürtel enger, wie sie es vorgeschlagen hatte, und zog den Pullover darüber. Die stinknormale dunkle Chinohose war lang genug. Er schaute auf seine nackten Füße herab. Einen Moment später rief sie: »Hier ist ein Paar Socken. Welche Schuhgröße haben Sie?«
»Vierundvierzig.«
»Etwas zu klein, tut mir leid.«
Sie reichte ein Paar italienische Slipper durch die Tür. Das Leder war so weich, dass er wettete, er könnte es essen, wenn er hungrig genug wäre.
Als er aus dem Bad kam, rief sie ihn aus dem riesigen Schrank. »Ich bin gleich bei Ihnen. Also, mir geht’s jetzt gut, keine Sorge, okay? Ich glaube, ich schwitze schon fast wieder, so warm ist mir. Ich werde hier drin nicht umfallen.«
»Na gut.« Er tippte die Nummer seines Vorgesetzten in sein Handy. Bert Cartwright war die meiste Zeit ein arroganter Arsch, weil er mit einem fotografischen Gedächtnis für Gesichter gesegnet war und auf diese Tatsache gerne immer wieder hinwies. Dann unterbrach er den Wählvorgang. Nein, dies war eine Angelegenheit für die örtliche Polizei. Er erreichte Frank zu Hause, wo er sich gerade ein Basketballspiel im Fernsehen ansah. Sein Sohn nörgelte im Hintergrund, weil er ihm sein Auto nicht lieh.
»He, Frank, ich habe einen Fall für dich.«
KAPITEL 4
Captain Frank Paulette vom San Francisco Police Department, SFPD, sagte: »Meine Güte, vielen Dank auch, Cheney. Da sitze ich hier völlig gelangweilt vorm Fernseher und sehe zu, wie die Warriors endlich mal die Lakers zur Sau machen, ein wahres Wunder.«
»Welches Viertel?«
»Das zweite.«
»Heute geschieht kein Wunder mehr, vertrau mir. Hör zu, Frank, ich habe hier ein Problem, und das ist was für euch, nicht für die Bundesbehörden. Es handelt sich um einen versuchten Mord.« Dann berichtete Cheney ihm, was passiert war.
Frank hörte wortlos zu, seufzte dann und hob seinen Blick zur Zimmerdecke. »Warum immer ich, lieber Gott? Okay, ich weiß, warum. Ich ziehe Probleme an. Nein, warte, sag nichts. Du hast diesen Typ nicht aus der Nähe gesehen?«
»Nein, und er hatte auch nichts Unverwechselbares an sich. Groß, schwarz, bewegte sich schnell und geschmeidig, wie ein Sportler. Er wusste, was er tat, keine Panik, kein Zögern. Als ich mich als FBI-Beamter zu erkennen gab und sagte, ich würde schießen, hat er nicht mal versucht, es mit mir aufzunehmen. Er warf sie einfach übers Geländer in die Bucht und verschwand.«
»Vielleicht hatte er nur das Messer und keine Schusswaffe. Möglicherweise wollte er sie nur überfallen und berauben und war nicht darauf eingestellt, sich einem Bundespolizisten zu stellen oder eine große Szene zu machen.«
»Das war kein versuchter Raubüberfall, Frank. Der war ein Profi. Alles, was er tat, war professionell, selbst die Entscheidung, wegzulaufen. Sie wird Schutz brauchen. Er muss annehmen, dass sie überlebt hat.«
»Okay, ich kaufe dir das ab, dass der Typ ein Profi ist. Der Frau geht’s gut?«
»Ja. Sie wollte nicht ins Krankenhaus, also habe ich sie nach Hause gebracht.«
»Das war ziemlich dumm, Cheney. Wieso will sie nicht ins Krankenhaus?«
»Keine Ahnung, aber sie hatte wirklich Angst. Sie hat so sehr gezittert, dass ich sie einfach nach Hause gebracht und sie unter die warme Dusche gestellt habe. Jetzt geht’s ihr besser.«
Ein erneuter Seufzer. »Wie heißt sie?«
»Äh, ja, wie wär’s mit Julia …«
Sie stand direkt neben ihm. »Mein Name ist Julia Ransom.« Sie machte eine kurze Pause und atmete tief ein. »Ich bin Dr. August Ransoms Witwe.«
Cheney starrte sie entgeistert an. So durchnässt und Wasser hervorprustend war sie ihm nicht im Geringsten bekannt vorgekommen. Natürlich erkannte er sie jetzt. Die Medien waren gnadenlos über sie hergefallen. Es hatte dabei gar keine Rolle gespielt, dass sie nie verhaftet worden war. Alle waren einfach weiter von ihrer Schuld ausgegangen. Es hatte Anspielungen gegeben, die Polizei sei inkompetent und hätte geheime
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