Hassbluete
Balkonsturz ums Leben gekommen.«
Lisa und ich starrten ihn fassungslos an.
Als Nächstes bestellte Wolfgang Richter ein Taxi, das ihn zum Polizeirevier bringen sollte. Er wollte Lisa ersparen, schon wieder Polizisten in der Wohnung zu haben. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er tatsächlich zum Revier fahren würde.
»Ich will, dass die Wahrheit endlich ans Licht kommt«, sagte er zum Abschied zu seiner Frau und küsste sie wie ein kleines Mädchen auf die Stirn. »Sonst haben wir keine Chance.«
Jetzt hab ich doch nicht der Reihe nach erzählt, bin wohl ziemlich hin und her gesprungen. Wahrscheinlich habe ich auch was vergessen. (. . .)
Ich hoffe trotzdem, dass Sie sich ein Bild machen können. (. . .)
Ich konnte das alles einfach nicht mehr mit mir herumtragen. Ich musste es loswerden. Darüber zu reden, hilft mir, mit allem fertig zu werden. (. . .)
Ich will doch auch wissen, ob es ein Versehen war, ein Unfall? Wenn man so was überhaupt rausfinden kann, wenn derjenige, um den es geht, nichts mehr dazu sagen kann. (. . .)
Könnte ich noch einen Kaffee haben, Kommissar Emmerich? (. . .)
Danke. (. . .)
Nein, danke, keinen Aschenbecher. Ich rauche nur bei mir zu Haus. Oder draußen. (. . .)
Danke, dass Sie mir zugehört haben. (. . .)
Was? Helen Marquardt hat sich doch gestellt? Ich mein, ich bin ja nur als Zeuge hier, um meine Aussage zu machen. (. . .)
Die Schuldfrage muss, schätze ich, das Gericht klären. Wenn sie ihren Job beim Sorgentelefon behalten will. Ich an ihrer Stelle hätte mich nicht eingemischt. (. . .)
Weil sie sich immer fragen wird, was passiert wäre, wenn sie nicht eingegriffen hätte!?
18
Nach Wolfgangs Abgang blieb Lisa am Boden zerstört zurück. Sie saß auf dem Sofa und war kaum ansprechbar. Immer wieder krampfte sie die Hände zusammen, knetete ihre Knöchel und starrte vor sich hin. Hilflos standen Mom und ich vor ihr und wussten nicht, was wir Tröstendes sagen konnten. Alles erschien so belanglos, schon bevor man es überhaupt ausgesprochen hatte. Ihre ganze Welt war in sich zusammengestürzt. Aber was noch schlimmer war: Es war immer noch schwer zu sagen, was Schein und Wirklichkeit war. Lisa, Mom und ich wussten auch jetzt nicht, ob wir dem, was sich jetzt als Wahrheit herausgestellt hatte, tatsächlich trauen konnten. Wir blieben die Nacht über bei Lisa, weil wir uns nicht trauten, sie alleine zu lassen. Ich war froh, dass meine Mom dabei war und ich nicht alleine mit Lisa im dunklen Wohnzimmer auf die Morgendämmerung warten musste. So saßen wir alle drei nebeneinander auf dem Sofa und schwiegen die meiste Zeit.
Ich dachte daran, wie Wolfgang zu mir gewesen war, so freundlich, kumpelhaft und verständnisvoll. Ich hatte ihm vertraut, auch wenn er manchmal komisch gewesen war. Und ich musste zugeben, dass ich es auch spannend gefunden hatte, nicht zu wissen, wer er wirklich war. Ähnlich wie bei Mike. Vielleicht hatte gerade dieser Kick, sich nicht sicher sein zu können, wie der andere im nächsten Moment reagiert, diese beiden Männer für mich so anziehend gemacht. Verrückt. Nun war die ganze Situation vollkommen eskaliert und ich musste erkennen, wohin dieses Spiel geführt hatte.
Irgendwann nahm Lisa meine Hand und hielt sie einfach fest. Vielleicht war es auch eher so, dass ich ihre hielt. Dann legte sie den Kopf auf Moms Schulter und schlief ein. Mom und ich warfen uns einen Blick zu. Jetzt würden wir hier nicht mehr wegkommen. Auch mein Kopf wurde immer schwerer und sackte irgendwann zur Seite.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich unter einer Decke auf dem Sofa, meine Turnschuhe waren ausgezogen, der Schlüssel, Robins Schlüssel, befand sich immer noch in meiner Rocktasche.
Auf dem Wohnzimmertisch lag ein Zettel:
Begleite Lisa zur Polizei. Ich bin stolz auf dich. Küsschen, Mama
Ich richtete mich auf und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Nach unten gehen und frühstücken? Aber ich hatte weder Hunger noch Appetit. Plötzlich bekam ich Sehnsucht nach Janni und Daniel, kramte mein Handy hervor und wählte Jannis Nummer. Ich musste ihnen endlich alles erzählen. Wir beschlossen, die Schule zu schwänzen – es gab jetzt wirklich Wichtigeres. In den Keller gingen wir nicht. Ich wusste nicht, ob ich ihn überhaupt je wieder betreten würde. Es waren mittlerweile so viele schlimme Erinnerungen damit verbunden. Ich beschloss, mich mit ihnen am Fluss zu treffen und ihnen dort direkt von Robin zu erzählen.
Wenig später trafen wir uns
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