Hastings House
einzigen Cent verdienten. Er spendete auch an gemeinnützige Einrichtungen, aber er wählte sie sehr sorgfältig aus. Wenn er fand, dass jemand nicht versuchte, sich aus eigener Kraft zu helfen, dann konnte er von ihm auch kein Geld erwarten. Der alte Knabe ist ja schon lange tot, sonst hätte ich gesagt, er könnte es fertiggebracht haben, seine eigene Nichte irgendwo einzumauern.”
“Aber er
ist
tot, und zwar schon lange, wie Sie selbst sagten”, hielt Joe dagegen.
Laymon zuckte mit den Schultern. “Schon witzig. Hin und wieder habe ich die Kleine gesehen. Sie liebte es, sich das Haus anzusehen.”
“Hatte sie eine Schwäche für Geschichte?”, fragte Brad.
“Ich schätze, ja. Aber irgendetwas an ihr war eigenartig: Sie ging immer hin und her, so als suche sie etwas. Mir kam es vor, als sähe sie sich gar nicht das Haus an, sondern irgendetwas anderes.”
“Warum kam sie nicht zu der Party?”, fragte Joe. “Ich meine, Sie kannten sie, Sie wussten von ihrem Interesse. Sie hätten sie doch einladen können.”
“Der Gedanke ist mir nie gekommen”, antwortete der Professor. “Sie hätte ja bloß ihre Tante fragen müssen.”
Aber das hätte sie niemals getan, dachte Joe.
“Sie meinen doch nicht etwa, dass Genevieve O’Brien aus Verbitterung das Haus in die Luft sprengen wollte, oder?”, fragte Brad.
“Nein”, antwortete Joe.
“Dann muss sie etwas über das Haus gewusst haben, das sie faszinierte”, überlegte Leslie.
“Zumindest hat sie etwas vermutet”, hielt Joe dagegen.
“Finden Sie nicht, dass das etwas weit hergeholt ist?”, meinte Laymon. “Die Explosion ereignete sich vor über einem Jahr.” Er sah zu Joe. “Genevieve ist seit … wie viel? … seit zwei Monaten verschwunden.”
“Ja, in etwa kommt das hin”, stimmte Joe ihm zu.
“Also, dann können Sie zumindest davon ausgehen, dass die Explosion nicht gegen
sie
gerichtet war”, sagte der Professor gut gelaunt. “Sie ist ja erst viele Monate später verschwunden.” Dann merkte er, wie die anderen ihn ansahen. “Was denn? Sie drei sind doch diejenigen, die anzweifeln, dass die Explosion ein Unfall war. Irgendein gestörter Kerl verschleppt Nutten, und Genevieve ist ihm einfach dazwischengeraten. Eines Tages werden die Leichen auftauchen, das ist immer so. Vielleicht schnappt man den Kerl, vielleicht auch nicht. Es ist traurig, aber so ist das Leben.”
Joe schüttelte den Kopf und warf Laymon einen finsteren Blick zu. “So
kann
das Leben sein, doch diesmal wird es
nicht
so sein. Vertrauen Sie mir, dem Kerl wird das Handwerk gelegt.”
Das Abendessen war vorüber. Laymon bot sich an, die Rechnung zu übernehmen, und Joe ließ ihn gewähren. Er bedankte sich fürs Essen, dann zog er Leslies Stuhl nach hinten, damit sie aufstehen konnte. “Ich bringe dich noch nach Hause.” Er zwang sich, den beiden Männern keine warnenden Blicke zuzuwerfen. “Und ich werde die ganze Nacht Wache halten.”
Leslie fühlte sich schrecklich schuldig.
Joe würde wieder die ganze Nacht im Wagen verbringen, das wusste sie genau.
Trotzdem konnte sie ihn nicht bitten, die Nacht im Hastings House zu verbringen. Noch nicht.
Sie versuchte ihn zu überreden, nach Hause zu fahren. Doch das würde er erst am Morgen machen, wenn Melissa und die anderen eingetroffen waren und wenn man damit begann, die Knochen aus dem Keller zu holen. Dann würde sie nicht mehr allein im Haus sein, und das war für ihn der einzige Punkt, der zählte.
Falls er erwartet hatte, für diese Nacht von Leslie ins Haus gebeten zu werden, sprach er das zumindest nicht aus. Es war ja nicht so, als hätte er nicht etwas an sich gehabt – seine Berührungen, sein Duft, der Klang seiner Stimme.
Aber da waren noch … Dinge, die zuerst geklärt werden mussten. Leslie konnte nicht in Worte fassen, was auf ihrem Herzen lastete und was ihr durch den Kopf ging. Deshalb war sie dankbar dafür, dass er keine Erklärungen verlangte.
Bevor er jedoch zu seinem Wagen zurückging, bat er sie, nach der Liste zu suchen, die Greta ihm hatte bereitlegen wollen. Leslie fand sie in der Küche auf dem Tresen und übergab sie ihm. Er ermahnte sie nicht nur, die Alarmanlage zu aktivieren, sondern sagte ihr auch, sie solle zusätzlich die Schlafzimmertür abschließen.
Zumindest den Gefallen wollte sie ihm tun, und nachdem sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, verriegelte sie die Tür und legte sich ins Bett.
Wie üblich lag sie eine ganze Weile wach und sehnte sich danach,
Weitere Kostenlose Bücher