Hastings House
Regung hatte ausgereicht, um Joe auf ihn aufmerksam werden zu lassen.
Joe raste auf den Laternenmast zu. Der Mann bemerkte ihn jedoch und jagte davon wie ein geölter Blitz. Joe war schnell, aber der Unbekannte hatte einen deutlichen Vorsprung. Sie rannten hintereinander die Straße entlang in Richtung Ausgrabungsstätte. Dort angekommen, verlor Joe den Fremden aus den Augen, sah aber plötzlich einen uniformierten Cop am Bauzaun entlangschlendern.
“Hey!”, rief er ihm zu.
“Ja?” Der Officer beobachtete in aller Ruhe, wie Joe auf ihn zulief.
“Ich habe gerade einen Kerl in diese Richtung verfolgt. Haben Sie hier jemanden vorbeilaufen sehen?”
Der Cop sah ihn von oben bis unten an. “Ich habe niemanden vorbeilaufen sehen, aber darf ich fragen, wer Sie sind? Und warum Sie um diese Uhrzeit andere Leute verfolgen?”
Joe hielt ihm seinen Ausweis hin.
“Oh, Sie sind’s.”
“Ja, Matt Connollys Cousin.”
“Wie?” Der Mann schaute ihn ratlos an. “Ich sah Ihr Foto in der Zeitung, wegen dieser Sache in Vegas. Gute Arbeit.”
“Danke. Sind Sie sich sicher, dass hier niemand vorbeigerannt ist?”
“Mr. Connolly, ich schwöre Ihnen, hier war niemand unterwegs.”
“Okay, danke. Würden Sie aufpassen, ob Sie irgendetwas Verdächtiges sehen?”
“Dafür werde ich schließlich bezahlt.”
Joe nickte nur und machte kehrt. Es ärgerte ihn maßlos, dass dieser Kerl ihn abgehängt hatte. Außerdem überfiel ihn eine schleichende Unruhe bei dem Gedanken, Hastings House und damit auch Leslie aus den Augen gelassen zu haben.
Er beschleunigte seinen Schritt. Sobald er außer Sichtweite des Cops war, begann er zu rennen. Was für ein glücklicher Zufall, dass Leslie ihm an diesem Tag den Code für die Alarmanlage gegeben hatte.
Am Hastings House angekommen, tippte er hastig die Ziffernfolge ein, während er versuchte, sich nicht auszumalen, was ihn auf der anderen Seite erwartete.
Es gab zweifellos etliche Leute, die Leslie ohne zu zögern als abgedreht oder verrückt bezeichnet hätten. Sie verbrachte die Nacht mutterseelenallein in einem Haus, in dem es angeblich spukte, und sie begnügte sich noch nicht einmal damit, in ihrem Zimmer zu bleiben.
Nein, sie musste auch noch in den Keller gehen, wo sich nach wie vor die Knochen der ermordeten Frau befanden.
Hellwach, in Hausschuhen und Morgenmantel, tappte Leslie in die Küche, nahm eine der Laternen vom Tisch und ging weiter in das Anrichtezimmer. Dort schlug sie den Teppich zurück und öffnete die schwere Falltür.
Sie zögerte einige Sekunden. Die Treppe wirkte auf sie wie der gähnende Schlund in einen unergründlichen, pechschwarzen Abgrund.
Doch sie war sich sicher, ein zu Herzen gehendes, jämmerliches Schluchzen gehört zu haben. Die Laterne vor sich haltend stieg sie vorsichtig die Treppe hinunter. Der Kellerraum war in diffuses Licht getaucht, als sie die letzte Stufe erreicht hatte.
Sie konnte Elizabeths Knochen durch das Loch in der Wand sehen, aber das erschreckte sie keineswegs. In ihrem Herzen wusste sie, dass sie für diese Frau alles tat, was sie tun konnte.
Ihr wurde bewusst, dass sie sich nicht vor den Geistern der Toten fürchtete.
Vielmehr fürchtete sie sich vor den Lebenden.
Vom Fuß der Treppe aus ging sie bis in die Mitte des Raumes. Lange Zeit herrschte Stille, dann setzte das Schluchzen wieder ein. Doch so angestrengt sie auch lauschte, konnte sie die Quelle des Geräuschs nicht ausfindig machen. Bevor sie sich noch länger darauf konzentrieren konnte, verstummte das Schluchzen wieder.
Zu ihrer Verwunderung hörte sie plötzlich etwas anderes. Schritte, zwei Geräusche, die so klangen, als habe jemand eine Tür geöffnet und wieder geschlossen.
Und dann …
Stille.
Sie stand wie erstarrt da und hielt den Atem an. Dennoch konnte sie nichts hören.
Im fahlen Licht der Laterne starrten sie die leeren Augenhöhlen von Elizabeths Schädel an.
Dann waren die Schritte gleich über ihr. Sie regte sich noch immer nicht.
“Leslie?”
Erleichtert atmete sie aus. Es war Joe.
“Hier unten!”, rief sie ihm zu.
“Du bist schon wieder im Keller?”, fragte er ungläubig und kam zu ihr nach unten.
“Joe, was machst du hier?” Sie zitterte am ganzen Leib.
“Ich sah, dass das Licht im Haus anging.”
“Oh Gott, das tut mir leid. Ich wollte dich nicht beunruhigen.”
“Sag mir lieber, was du im Keller machst –
um diese Uhrzeit.”
“Ich hörte ein Schluchzen.”
“Ein Schluchzen?”
Leslie machte den Mund
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