Hastings House
wie sie sich gegen Laymon durchsetzte, der ihrem Plan letztlich zustimmte.
Im Gegenzug versprach sie ihm, sich am nächsten Tag weiter mit der Gruft zu befassen.
Brad erschien Joe an diesem Abend erstmals sympathischer als an den Tagen zuvor. Ohne zu zögern stellte Brad sich hinter Leslie, als es um die Beerdigung der Frau aus dem Keller des Hastings House ging. Zudem ärgerte es ihn, dass Laymon so wenig Interesse an Leslies gesundheitlicher Verfassung zeigte.
Dass Joe mit am Tisch saß, schien Laymon erst zu bemerken, als der Nachtisch serviert wurde.
“Sie schreiben nicht?”, fragte er.
“Nein, Matt war der Journalist in der Familie.”
“Und Sie waren ein Cop?”
“Ja, ein paar Jahre lang.” Joe hatte sich für diese – oft unpopuläre – Berufsentscheidung noch nie gerechtfertigt, und er würde jetzt auch nicht damit anfangen.
Umso überraschter war er, dass Brad das für ihn übernahm.
“Joe hat an der Columbia einen Abschluss in Kriminologie gemacht. Police Departments im ganzen Land fliegen ihn ein, wenn sie nicht mehr weiterwissen.”
“Tatsächlich?” Laymon betrachtete ihn auf einmal mit deutlich mehr Respekt.
Joe hob lässig eine Hand. “Manchmal hilft ein unvoreingenommener Blick.”
“Lassen Sie sich nicht von ihm täuschen. Er hat erst vor Kurzem einen großen Kokain-Deal in Las Vegas hochgehen lassen. Die Spielcasinos wussten nicht, wie es den Dealern möglich war, den Stoff durch ihre privaten Sicherheitssysteme zu schleusen. Sie haben das Kokain in Kaffeebechern reingeschmuggelt”, sagte Brad.
“Danke für das Lob”, wandte sich Joe an Brad. “Aber so beeindruckend war das gar nicht. Ehrlich gesagt hat mich ein Fernsehfilm auf diese Idee gebracht. Vermutlich hatten die Gangster den gleichen Film gesehen und sich von ihm inspirieren lassen.”
Laymon sah Leslie aufmerksam an. “Tja, vermutlich ist es unwichtig, woher die Inspiration kommt, solange sie zum gewünschten Ergebnis führt, nicht wahr?”
In diesem Moment servierte ihnen der Kellner köstliches italienisches Gebäck, außerdem einen Espresso für Laymon und einen Cappuccino für Leslie, während Brad und Joe einen einfachen schwarzen Kaffee bestellt hatten.
“Wie ich hörte, glauben Sie, die Explosion im Hastings House sei kein Unfall gewesen”, fuhr Laymon fort und richtete seinen forschenden Blick auf Joe.
“Na ja, Matt war mein Cousin. Da bleibt es nicht aus, dass ich an den Fahndungsergebnissen so meine Zweifel hege”, reagierte Joe gelassen.
“Wie kommen Sie denn darauf, dass Joe sich immer noch mit der Explosion befasst?”, fragte Leslie.
“Meine Güte”, gab Laymon zurück, der sichtlich verärgert darüber war, eine Erklärung abgeben zu müssen. “Brad und Ken gehen gern zusammen einen trinken. Und Ken weiß, was Sie vorhaben.”
“Ich habe überhaupt nichts vor”, entgegnete Joe.
“Und wie kommen Sie mit der Suche nach dieser jungen Frau voran?”, wollte der Professor als Nächstes wissen.
“Ich hoffe, dass ich der Lösung jeden Tag ein kleines Stück näher komme.”
“Ist das überhaupt noch wichtig?”
“Wie bitte?”
“Sie ist doch schon lange verschwunden. Ganz bestimmt ist sie tot.”
“Ich werde sie so oder so finden”, antwortete Joe. Der Grund war ihm nicht klar, doch er konnte deutlich spüren, dass die Stimmung am Tisch mit einem Mal gereizt war.
“Kannst du mir bitte einen Keks geben, Brad?”, ging Leslie dazwischen. Joe ließ den Kopf sinken. Sie war immer darauf bedacht, eine angespannte Situation zu entschärfen. Sehr klug. Er hätte am Nachmittag sein Temperament gegenüber Hank Smith besser im Griff haben müssen. Schließlich wollte er weder auf der Baustelle noch sonst irgendwo, wo sich Leslie aufhielt, zur unerwünschten Person erklärt werden.
“Schon traurig”, meinte Laymon. “Ihre Tante – Eileen Brideswell – ist eine so großzügige Förderin der Historischen Gesellschaft.”
“Ich kann mir vorstellen, dass sie für einige gute Zwecke spendet”, sagte Leslie.
Der Professor nickte, lehnte sich nach hinten und verschränkte die Arme vor der Brust. “Sonderbare Frau, diese Eileen. Sie liebt noch heute die rauchigen kleinen Pubs aus ihrer Jugendzeit. Aber ich sage Ihnen eines: Genevieve O’Briens Großvater war noch ein zäher alter Knochen, der war aus ganz anderem Holz geschnitzt. Von Genevieve hätte er nicht viel gehalten. Er fand, dass kein Penner und auch keine Prostituierte, die auf der Straße herumlungerte, auch nur einen
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