Hastings House
irgendetwas Geheimnisvolles. Etwas, das ich klären muss.”
“Eben. Und das erklärt auch, warum ich dir sage, du sollst das Krankenhaus nicht verlassen, und warum du dann trotzdem gehst. Du kannst mich nicht mal anrufen, um mir Bescheid zu geben, und dann komme ich her und finde dich im düsteren Keller mit einem Mistkerl wieder, dem du nicht mal die Uhrzeit glauben darfst.”
“Tut mir leid, ich hatte ihn nicht eingeladen.”
“Das meine ich ja damit.”
“Ich brauche jetzt eine Dusche. Ach ja … ich wollte nicht über deinen Kopf hinweg bestimmen, aber würde es dir etwas ausmachen, mich zum Essen mit Brad und Laymon zu begleiten?”
“Nein, im Moment würde es mir nur etwas ausmachen, dich nicht begleiten zu dürfen oder nicht zu wissen, wo du gerade bist.”
“Joe, wegen … wegen Matt musst du dich nicht für mich verantwortlich fühlen.”
“Matt geht mir zwar nie aus dem Kopf”, erwiderte er ruhig. “Aber ehrlich gesagt fühle ich mich für dich verantwortlich, weil du mich jedes Mal aufs Neue erschreckst. Du scheinst Unfälle ja regelrecht anzuziehen.”
“Entweder das”, sagte sie leise, “oder …”
“Oder”, kam er ohne Umschweife auf den Punkt, “Matt wurde tatsächlich ermordet, und sein Mörder hat das Gefühl, dass du der Wahrheit auf der Spur bist.”
Sie erschrak, als seine Worte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken jagten. Hoffentlich verriet sie sich nicht, dachte sie.
Nach kurzem Zögern fragte sie: “Joe, siehst du wirklich eine Verbindung zwischen Hastings House, den Prostituierten und Genevieve O’Brien?”
“Nun, zumindest habe ich heute herausgefunden, dass Genevieve gern zu der Party eingeladen gewesen wäre. Ob das etwas zu bedeuten hat, weiß ich noch nicht. Die halbe Stadt wollte auf diese Party gehen – vielleicht nicht, weil sie in einem historischen Gebäude stattfand, sondern weil man sich für prominent hält und den Medien präsentieren wollte. Matt schrieb über die vermissten Prostituierten, Genevieve versuchte, den Frauen zu helfen, die in der gleichen Gegend anschaffen gehen. Das sind die Dinge, die ich weiß. Mag sein, dass es sehr weit hergeholt ist, wenn ich da eine Verbindung sehe. Aber abgesehen davon und von einer mysteriösen schwarzen Limousine habe ich nichts, was mir weiterhelfen könnte. Außer deiner Überzeugung”, fügte er leise hinzu und sah Leslie tief in die Augen, “dass Genevieve noch am Leben ist.”
Sie fühlte sich versucht, zu ihm zu gehen, damit er seine Arme um sie legte, damit sie spürte, dass er real war, aus Fleisch und Blut. Joe war ein guter Mann. Natürlich war er nicht Matt, aber wäre sie ihm irgendwo auf der Straße, in einem Restaurant oder bei Freunden zu Hause begegnet … sie hätte sich genauso zu ihm hingezogen gefühlt, wenn …
… wenn es Matt nie gegeben hätte.
Bedächtig nickte sie. “Ich gehe jetzt duschen, ich bin gleich wieder da.”
“Ich warte im Dead Room.”
“Wie bitte?”
“Entschuldige. Im Anrichtezimmer.”
Leslie eilte die Treppe hinauf. In ihrem Zimmer angekommen, lehnte sie sich gegen die Tür und schloss die Augen. “Matt”, wisperte sie. “Ich weiß, du bist hier. Ich weiß … du passt auf mich auf. Wenn ich doch nur … oh Matt …”
Es war lange her, dass sie geweint hatte, doch jetzt konnte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten.
Dann auf einmal …
… spürte sie, wie etwas über ihr Gesicht strich. Der Hauch einer liebevollen Berührung, die ihre Tränen wegwischte. Sie machte die Augen auf.
Doch sie war noch immer allein.
Das Abendessen war eine langweilige Angelegenheit. Nachdem sich Professor Laymon lediglich flüchtig nach Leslies Befinden erkundigt hatte, kannte er nur ein Thema, über das er reden konnte: seine Arbeit, die Liebe seines Lebens.
Mindestens eine halbe Stunde lang sprach er über die Arbeiten, die man bislang in – wie er sie nannte – “Leslies Gruft” erledigt hatte. Dann wechselte er zum Fund im Keller des Hastings House, was wiederum zu einem Streit führte, weil Leslie darauf bestand, aus diesem speziellen Fund nicht noch ein Medienspektakel zu machen. Sie wollte mit einem früheren Kollegen von Matt Kontakt aufnehmen, damit der einen vernünftigen Artikel schrieb, aber keine reißerische Story. Und sie wollte nach einem episkopalen Priester suchen, der dafür sorgen konnte, dass die Frau würdevoll beigesetzt wurde.
Wenn sie wollte, konnte sie eine gnadenlose Kämpferin sein, und Joe beobachtete fasziniert,
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