Hastings House
ich Ihnen nicht garantieren, dass Ihre Nichte sich bei Ihnen meldet.”
“Nein, Sie verstehen mich nicht. Ich bin von ganzem Herzen davon überzeugt, dass sie mich anrufen würde, wenn sie dazu noch in der Lage wäre.”
“Glauben Sie, Ihre Nichte ist tot, Mrs. Brideswell?”, fragte Joe vorsichtig.
Sie verzog schmerzhaft das Gesicht. “Ich weiß es nicht”, flüsterte sie. “Ich … ich weiß, sie liebte … liebt mich. Ganz egal, was zwischen uns auch war, Genevieve würde sich bei mir melden. Und wenn sie irgendwo da draußen ist … und wenn sie um Hilfe ruft, dann ruft sie nach mir. Oh mein Gott, Mr. Connolly, ich gebe zu, es gab schlimme Zeiten in der Familie. Zeiten, in denen sie weggeschickt wurde, weil sie uns mit ihrem Verhalten so sehr in Verlegenheit brachte! Mein Bruder war sehr streng. Wohl aus gutem Grund. Von unserem Vater lernten wir, uns immer anständig zu benehmen – oder wenigstens nach außen hin diesen Anschein zu wahren. Trotzdem liebt sie mich. Und ich weiß, dass sie mich jetzt braucht. Ich musste mich zwangsläufig mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass sie tot sein könnte. Aber verstehen Sie denn nicht? Ich muss es wissen. Ich brauche Gewissheit. Und wenn sie … wenn sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist, dann will ich, dass der Täter seine gerechte Strafe erhält, noch bevor ich sterbe.”
Joe fragte sich verwundert, wieso sie mit solcher Inbrunst von ihrem eigenen Tod sprach. Sie war ganz bestimmt noch keine fünfzig, und von ihrem Aussehen her sie ging immer noch für fünfunddreißig durch.
“Einem Verbrechen zum Opfer gefallen”, wiederholte er und fragte geradeheraus: “Vermuten Sie, dass Ihre Nichte ermordet wurde?”
Eileen atmete tief durch und sprach dann in einem verbitterten Tonfall weiter: “Ich habe mich an die Polizei gewandt, Mr. Connolly, wie Sie sich bestimmt denken können. Und ich weiß nicht, ob er Sie vorgewarnt hat, aber Ihr alter Freund Sergeant Adair schlug mir vor, Sie anzurufen. Allerdings erst nachdem er mir einen Vortrag über all die anderen Vermissten gehalten hat, deren Verschwinden ihm Rätsel aufgeben. Ich vermute mal, dass die Polizei die Geschichte mit den Prostituierten nicht an die große Glocke hängen will, auch wenn das natürlich nicht funktioniert. Die Leute reden. Und immerhin verschwinden diese Frauen schon seit über einem Jahr.”
“Ihre Nichte war keine Prostituierte, die in Downtown anschaffen ging”, betonte er.
Erneut reagierte sie mit einer fahrigen Handbewegung. “Das weiß ich. Und wir wissen alle, dass auch Frauen vermisst werden, die nicht … diesem Gewerbe nachgehen. Aber ich hatte das Gefühl, Sergeant Adair sieht einen Zusammenhang zwischen diesen Fällen und der Tatsache, dass ich nichts mehr von Genevieve gehört habe.”
Nun war Joe verwirrt. Er wusste, dass Robert Adair sich verzweifelt die Haare raufte, weil in Downtown immer wieder Prostituierte spurlos verschwanden. Es gab keine Hinweise, keine Blutspuren, rein gar nichts. Die Frauen waren von einem Tag auf den anderen einfach fort und hatten ihr gesamtes Hab und Gut zurückgelassen. Was aber sollte die Tochter eines Millionärs mit ein paar unauffindbaren Prostituierten gemeinsam haben?
“Ich glaube, die Polizei bewegt sich da auf einem sehr heiklen Terrain. Die verschwundenen Frauen waren alle erwachsen, und Erwachsene dürfen ihr altes Leben hinter sich zurücklassen, wenn sie das wollen.”
Eileen sah ihn lange an, dann sagte sie mit wütender Stimme: “Wir kennen doch beide die Wahrheit.”
Natürlich hatte sie recht. Vor über einem Jahr fing es damit an, dass im Abstand von wenigen Monaten zwei Prostituierte verschwanden. Da es keine Spuren und auch keine Indizien gab, die auf ein Verbrechen hindeuteten, wurde keine aufwendige Suche nach ihnen eingeleitet, als Freundinnen die beiden als vermisst meldeten. Als Nächstes verschwand ein obdachloser Transvestit mit Spitznamen “Mimic”, anschließend waren es wieder zwei junge Frauen.
Eileen beugte sich vor und warf Joe einen zornigen Blick zu. Auch wenn sie ein behütetes Leben führte, konnte sie sich nötigenfalls von der harten Seite zeigen. “Prostituierte, die von ihrem Freier umgebracht werden, tauchen früher oder später irgendwo auf. Ein Obdachloser, der im Winter erfriert, wird auf dem Fußweg entdeckt. Aber diese Mädchen sind, wie auch Genevieve, spurlos verschwunden. Es scheint fast so, als hätte es sie nie gegeben. Glauben Sie etwa, dass Außerirdische diese
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