Hasturs Erbe - 15
mit ihm umgegangen wäre als jeder andere Offizier. Doch ich mag es nicht, wenn man Leute unnötig verletzt. Ich denke, euer Kadettenmeister würde mich jetzt einer schamlosen Verletzung meiner Pflichten bezichtigen. Erzählt es ihm nicht weiter, ja?” Plötzlich grinste er, und seine Hand fiel kurz auf Danilos Schulter und schüttelte ihn ein wenig. „Und jetzt beeilt euch besser. Ihr werdet zu spät kommen.” Er wandte sich in einen Flur, der nach rechts abzweigte, und ging fort.
Die beiden Kadetten liefen ihren Weg weiter. Regis dachte, daß er nicht gewußt hatte, daß Lew so empfand. Sie mußten ihm hart zugesetzt haben, besonders Dyan. Doch wie konnte er das wissen?
Danilo sagte: „Ich wünschte, alle Offiziere wären wie Lew. Es wäre schön, wenn er Kadettenmeister wäre, nicht wahr?”
Regis nickte. „Ich glaube nicht, daß Lew gerne Kadettenmeister wäre. Und nach allem, was ich gehört habe, nimmt es Dyan sehr genau mit Ehre und Verantwortlichkeit. Hast du ihn im Rat reden hören?”
Danilo verzog den Mund. „Na, du brauchst dir auch keine Sorgen zu machen. Dich kann Lord Dyan leiden. Jeder weiß das!”
„Eifersüchtig?” fragte Regis gutmütig.
„Du bist ein Comyn”, sagte Danilo, „du genießt Sonderbehandlung.”
Diese Worte waren wie eine plötzliche schmerzhafte Erinnerung an die Distanz zwischen ihnen, eine Distanz, die Regis kaum noch gespürt hatte. Es tat weh. Er sagte: „Dani, sei nicht dumm! Du meinst, weil er mich als Partner bei seinen Fechtübungen einsetzt? Das ist eine Ehre. Ich würde gerne mit dir tauschen! Wenn du glaubst, es sind Liebesbeweise, die ich von ihm bekomme, sieh mich irgendwann einmal nackt an - du bist willkommen und mehr als willkommen für Dyans Liebesschläge!”
Auf das plötzliche dunkle Erröten, das Danilos Gesicht überflutete, war er vollständig unvorbereitet, ebenso auf die plötzliche heftige Wut, als dieser sich zu Regis umwandte. „Was meinst du damit?”
Regis starrte ihn bekümmert an. „Nun, daß das Fechten mit Lord Dyan eine Ehre ist, auf die ich gerne verzichten würde. Er ist viel strenger als der Waffenmeister, und er schlägt auch fester zu! Sieh dir meine Rippen an, dann siehst du, daß ich von den Schultern bis zu den Knien blau und grün bin. Was hast du denn gedacht?”
Danilo wandte sich ab und gab keine direkte Antwort. Er sagte lediglich: „Wir werden zu spät kommen. Laufen wir!”
Regis verbrachte die frühen Abendstunden auf Streife zusammen mit Hjalmar, dem riesigen jungen Wachsoldaten, der ihn als erster beim Fechten getestet hatte. Sie zerstreuten zwei Schlägereien, schleppten einen widerspenstigen Betrunkenen ins Gefängnis, wiesen einem halben Dutzend Leuten vom Lande, die sich verlaufen hatten, den Weg zurück zu ihrem Gasthaus, wo sie ihre Pferde abgestellt hatten, und erinnerten auf sanfte Weise ein paar umherziehende Frauen, daß Prostituierte per Gesetz nur in bestimmten Gebieten ihrem Gewerbe nachgehen durften. Ein ruhiger Abend in Thendara. Als sie zur Wachhalle zurückkehrten, um ihre Freizeit anzutreten, trafen sie auf Gabriel Lanart und ein halbes Dutzend Offiziere, die eine kleine Schenke am Stadttor besuchen wollten. Regis wollte sich gerade zurückziehen, als Gabriel ihn aufhielt.
„Komm doch mit uns, Bruder. Du solltest dir die Stadt näher ansehen als nur aus dem Kasernenfenster.”
Regis fühlte sich gedrängt und ging mit den älteren Männern. Die Schenke war klein und verraucht und voller Wachleute, die ihre Freizeit dort verbrachten. Regis saß neben Gabriel, der sich Mühe gab, ihm das Kartenspiel zu erklären, das sie gerade spielten. Es war das erste Mal, daß er mit älteren Offizieren zusammentraf. Er blieb ruhig und hörte mehr zu als selbst zu reden, doch es war ein gutes Gefühl, zu der Gesellschaft zu gehören und akzeptiert zu werden.
Es erinnerte ihn ein wenig an die Sommer, die er auf Armida verbracht hatte. Kennard oder Lew oder dem alten Andres wäre es nie in den Sinn gekommen, den ernsten und frühreifen Jungen als Kind zu behandeln. Diese frühzeitige Anerkennung von Männern hatte ihn wahrscheinlich für immer, wie er traurig merkte, den Jungen seines Alters entfremdet. Doch er wußte auch, daß er sich unter Männern zu Hause fühlte, und dieses Wissen gab ihm ein Gefühl, als sei er von einer Last befreit. Es war, als könne er den ersten freien Atemzug tun, seit ihn sein Großvater zu den Kadetten gesteckt hatte, ohne daß er sich mehr als nur wenige Minuten hatte darauf
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