Hasturs Erbe - 15
hallenden Raum, als sich der gesichtslose Gegner vor ihm bewegte und seine Bewegungen immer rascher wurden. Regis merkte, daß sie beide nackt waren und die Hiebe auf seiner bloßen Haut landeten. Als sich sein gesichtsloser Gegner schneller und schneller bewegte, wurde Regis selbst immer gelähmter und war schwerfällig und kaum noch imstande, das Schwert zu heben. Und dann verbat ihm eine klingende, laute Stimme, weiterzumachen. Und Regis ließ das Schwert sinken und blickte unter die dunkle Kapuze des bittenden Mönches. Aber es war nicht der Novizenmeister aus Nevarsin, sondern Dyan Ardais. Als Regis vor Furcht wie angewurzelt stehenblieb, nahm Dyan das herabgefallene Schwert auf, das jetzt kein hölzernes Übungsschwert mehr war, sondern ein grausam scharfes Rapier. Dyan hielt es gezückt, und Regis sah mit Entsetzen und Grausen, wie sich das Schwert langsam in seine Brust bohrte. Merkwürdigerweise verspürte er nicht den leisesten Schmerz, und Regis blickte hinab und schauderte angesichts der Klinge, die sich durch seinen Körper bohrte. „Das ist, weil es nicht das Herz berührt hat”, sagte Dyan, und Regis erwachte mit einem erstickten Schrei und setzte sich kerzengerade im Bett aufrecht. „Zandru”, flüsterte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn, „was für ein Alptraum!” Er merkte, wie sein Herz immer noch pochte und dann, daß Schenkel und Laken feucht und klebrig waren. Jetzt, da er hellwach war, wußte er, was geschehen war, und er mußte über die Absurdität des Traums fast lachen, doch es hielt ihn immer noch im Griff, so daß er sich nicht wieder hinlegen und einschlafen konnte.
Es war still in der Baracke, und es war noch eine Stunde bis Tagesanbruch. Er war nicht mehr betrunken oder benommen, doch hinter den Augen verspürte er einen pochenden Schmerz. Langsam wurde er sich bewußt, daß Danilo im Bett nebenan hilflos weinte, hilflos und verzweifelt wie in hoffnungslosem Schmerz. Er erinnerte sich an das Weinen in seinem Traum. Hatte er das Geräusch gehört und in seinen Traum hineingenommen? Dann merkte er mit langsamem Erstaunen und Verwunderung, daß Danilo gar nicht weinte. Er konnte in dem schwachen Mondlicht erkennen, daß Danilo in Wirklichkeit reglos in tiefem Schlaf lag. Er konnte den leisen, regelmäßigen Atem hören und die abgewandte Schulter sich leise und rhythmisch bewegen sehen. Das Weinen hatte keinen Ton, sondern war nur eine Art unberührbares Muster vibrierenden Elends und Verzweiflung, wie das verlorene Weinen seines Traums, aber ohne Geräusch.
Regis legte die Hand auf die Augen und dachte mit zunehmendem Erstaunen, daß er das Weinen nicht gehört hatte, es aber zur gleichen Zeit wußte.
Es stimmte also. Laran. Nicht zufällig von einem anderen Telepathen aufgefangen, sondern sein eigenes.
Dieser Schock vertrieb alle anderen Gedanken aus seinem Kopf. Wie war es geschehen? Und wann? Und die Frage brachte auch die Antwort: an jenem ersten Tag in der Baracke, als Dani ihn berührt hatte. Er hatte heute nacht von dieser Unterhaltung geträumt, hatte einen Moment geträumt, er sei sein Vater. Wieder verspürte er den Drang zur Nähe, nach einer so intensiven Emotion, und ein Kloß saß ihm in der Kehle. Danilo schlief nun ruhig, und selbst die unhörbare Impression von Weinen war verebbt. Regis war besorgt, zermürbt und zerrissen von den Überresten von Kummer bei seinem Freund und fragte sich, was mit ihm los sein mochte.
Schnell verdrängte er die Neugier. Lew hatte gesagt, man müsse lernen, Distanz zu bewahren, um zu überleben. Es war ein sonderbarer, trauriger Gedanke. Er konnte sich nicht in die Intimsphäre des Freundes eindrängen, dennoch war er immer noch über dessen Kummer den Tränen nahe. Hatte ihn jemand verletzt oder mißhandelt?
Oder war Danilo einfach heimwehkrank und einsam und wollte zu seiner Familie? Regis wußte so wenig über ihn.
Er erinnerte sich an seine eigene Zeit in Nevarsin. Kalt, einsam, traurig, ohne Freunde hatte er seine Familie gehaßt, weil sie ihn dorthin geschickt hatte. Nur ein heftiger Kern von HasturStolz hatte ihn davor zurückgehalten, sich eine lange Zeitlang jeden Abend in den Schlaf zu weinen.
Aus irgendeinem Grund erfüllte ihn dieser Gedanke erneut mit einem fast unerträglichen Gefühl von Angst, Furcht und Ruhelosigkeit. Er sah hinüber zu Danilo und wünschte sich, er könnte mit ihm darüber reden. Dani kannte es. Er würde es wissen. Regis wußte, daß er bald mit irgend jemandem würde darüber reden
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