Hasturs Erbe
du mir wirklich darin vertraut, daß ich dein Gesetz der Keuschheit einhielte?« schleuderte sie mir zornig entgegen. Ich war zu schockiert, um eine Antwort zu finden. Schließlich sagte ich: » Breda , nicht, daß ich dir nicht traue – es ist deine Ausbildung.«
Sie war in meinen Armen steif gewesen. Plötzlich ließ sie sich locker gegen mich fallen, und ihre Arme umschlangen meinen Hals. Ich dachte, sie würde weinen. Ich sagte zitternd, immer noch mit dem gemischten Gefühl aus Wut und Zärtlichkeit: »Und mach keine Scherze über das Feuer! Evanda sei dir gnädig, Thyra! Du bist niemals auf dem Arilinn gewesen, du hast das Denkmal nicht gesehen, aber hast du, wenn du Balladen singst, noch nie von der Geschichte von Marelie Hastur gehört? Ich habe keine gute Stimme, aber ich werde sie dir erzählen. Ich will sie dir erzählen, damit du dich immer daran erinnerst, über solche Dinge nicht zu scherzen.« Ich mußte hier abbrechen. Meine Stimme versagte.
Kadarin sagte ruhig: »Wir alle haben Marjorie in den Flammen gesehen, doch das war eine Illusion. Du bist doch nicht verletzt worden, Marjorie?«
»Nein, nein, das nicht. Nein, Lew. Tu es nicht, bitte tu es nicht. Thyra hat es nicht so gemeint«, sagte Marjorie zitternd. Ich sehnte mich danach, meine Arme nach ihr auszustrecken, sie zu umfangen und zu beschützen. Doch das würde sie in weitaus größere Gefahr bringen als alles andere, was ich möglicherweise tun konnte.
Ich war ein Narr, Thyra zu berühren.
Sie klammerte sich immer noch an mich, warm, eng und lebendig. Ich wollte sie heftig von mir schleudern, doch zugleich wollte ich – und sie wußte es, verdammt, sie wußte es! – was ich von jeder Frau aus meinem Zirkel, abgesehen von der Bewahrerin, irgendwann einmal gewollt hatte. Es würde die Feindseligkeit und Spannung auflösen. Jede im Turm ausgebildete Frau hätte jenen Zustand, in dem ich mich befand, gespürt, und sich verantwortlich gefühlt …
Ich zwang mich zur Ruhe, um mich aus Thyras Armen zu befreien. Es war nicht Thyras Fehler, nicht mehr als der Marjories. Es war nicht Thyras Fehler, daß Marjorie und nicht sie aus Mangel an ausgebildeten Bewahrerinnen gezwungen war, diese Rolle anzunehmen. Es war nicht Thyra, die mich so angeregt hatte. Es war auch nicht Thyras Fehler, daß sie nicht an die Gebräuche der Turmzirkel gewöhnt war, wo Intimität und Wahrnehmungsfähigkeit stärker sind als Blutsbande, dichter als Liebe, wo das Bedürfnis des einen beim anderen die Verantwortung wachruft.
Ich konnte die Gesetze eines Turmzirkels nur so weit hier durchsetzen, als es zu ihrer Sicherheit notwendig war. Mehr konnte ich nicht verlangen. Ihre eigenen Bande und Verpflichtungen reichten weit zurück, über die Zeit meiner Ankunft hinaus. Thyra empfand nichts außer Verachtung für Arilinn. Und sich zwischen Kadarin und Thyra zu stellen, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Sanft, damit sie sich durch mein plötzliches Zurückziehen nicht verletzt fühlte, löste ich mich von ihr. Beltran starrte wie hypnotisiert in die zuckenden Flammen im Kamin und sagte leise: »Marelie Hastur. Ich kenne die Geschichte. Sie war jene Bewahrerin auf Arilinn, die von Banditen in den Kilghard-Bergen überfallen wurde. Sie wurde vergewaltigt und nahe der Stadtmauer dem Tod überlassen. Doch sie überlebte, und aus Stolz oder aus Furcht vor Mitleid verheimlichte sie, was man ihr angetan hatte, und ging zu den Matrixschirmen, entgegen den Gesetzen für Bewahrerinnen … Und sie starb, ein verkohlter Leichnam, wie von einem Blitz getroffen.«
Marjorie zuckte zusammen, und ich verfluchte Beltran. Warum mußte er vor ihren Ohren diese Geschichte erzählen? Es schien ein Hieb aus bedachter Grausamkeit, und das war Beltran ganz und gar nicht ähnlich.
Ja. Und ich war nahe daran gewesen, sie Thyra zu erzählen, und fast bereit, ihr ihre eigene Harfe auf dem Kopf zu zerschmettern. Das paßte auch ganz und gar nicht zu mir.
Was in aller Götter Namen war mit uns los?
Kadarin sagte rauh: »Ein Lügenmärchen. Ein frommer Betrug, um die Bewahrerinnen zur Keuschheit zu verpflichten, eine Schauergeschichte für Säuglinge und kleine Mädchen!«
Ich streckte ihm meine narbige Hand entgegen.
»Bob, das ist kein frommer Betrug!«
»Aber ich kann auch nicht glauben, daß es etwas mit deiner Unberührtheit zu tun hatte«, lachte er und legte mir wohlmeinend die Hand auf die Schulter. »Du machst dir selber Alpträume, Lew. Gegen deine Marelie Hastur setze ich Cleindori
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