Hasturs Erbe
ins Tal hinab. Ich glaubte ihnen kein Wort, doch wir konnten es nicht ablehnen.
Die nächsten zwei oder drei Nächte waren ähnlich dieser ersten. Wir hatten Glück mit dem Wetter, und es gab kein Zeichen einer Verfolgung. Wir schliefen am Tage in Hirtenhütten verborgen, doch sie waren alle verlassen. Wir hatten genug zu essen, wenn wir auch fast immer froren. Marjorie beklagte sich nicht ein einziges Mal, doch war ich in schrecklicher Sorge um sie. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß jemals zuvor eine Frau eine solche Reise überstanden hatte. Als ich Marjorie dies sagte, lachte sie nur.
»Ich bin keine verzärtelte Dame aus dem Tal, Lew, ich bin an rauhes Wetter gewöhnt und kann alles tun, wenn ich muß, selbst mitten im Winter reisen. Thyra wäre natürlich noch eine bessere Gefährtin. Sie ist an lange Reisen mit Bob gewöhnt, ob im Winter oder Sommer …« Sie verstummte und wandte rasch das Gesicht ab. Auch ich blieb stumm. Ich wußte, wie nahe sie ihrer Schwester gestanden hatte und wie sie diesen Abschied empfand. Es war das erste Mal, daß sie über ihr Leben auf Burg Aldaran gesprochen hatte. Es war auch das letzte Mal.
Am vierten oder fünften Morgen mußten wir bis weit in den Vormittag reisen, um Unterschlupf zu finden. Wir befanden uns nun im wildesten Teil des Gebirges, und aus den Straßen waren einfache Pfade geworden. Marjorie war vor Erschöpfung zusammengesackt. Ich hatte mich schon fast damit abgefunden, daß wir dieses Mal keinen geschützten Platz finden und unter freiem Himmel schlafen mußten, als wir plötzlich nach einer Wegbiegung auf einen verlassenen Bauernhof stießen.
Ich fragte mich, wie es jemals jemandem hatte gelingen können, auf diesen kahlen Hügeln Ackerbau zu betreiben, doch dort lagen Wirtschaftsgebäude und ein kleines, steinernes Wohnhaus, ein Hof, der einmal eingezäunt gewesen war, ein Brunnen mit einem hölzernen Rohr, aus dem immer noch Wasser in einen zerbrochenen Steintrog spritzte – alles vollständig verlassen. Ich befürchtete, das Haus sei zum Zufluchtsort von Fledermäusen und Vögeln geworden, doch als ich die Tür aufstieß, war es dicht und fast sauber.
Die Sonne stand hoch und warm am Himmel. Während ich die Pferde absattelte, hatte Marjorie sich den Umhang und die Stiefel ausgezogen und wusch sich in dem Steintrog die Hände. Sie sagte: »Ich habe die Müdigkeit überwunden. Da ich seit unserer Abreise nicht die Kleider vom Körper gehabt habe, werde ich mich waschen. Ich glaube, das erfrischt mich mehr als Schlaf.« Sie tat, wie sie gesagt hatte, zog den Reitrock und die pelzbesetzte Tunika aus und stand in ihrem langen, schweren Hemd und Unterrock vor mir. Ich tat es ihr nach. Das Wasser war eiskalt, doch wunderbar erfrischend. Ich wunderte mich, wie Marjorie barfuß in den kalten Rinnsalen des schmelzenden Schnees der vergangenen Nacht stehen konnte, doch sie schien nicht so zu frieren wie ich. Danach saßen wir in der wärmenden Sonne und aßen die letzten Stücke des groben Brotes von den Hirtenfrauen. Ich fand einen Baum im Hof, wo die vorherigen Besitzer Pilze gezüchtet hatten, und zwar mit einem komplizierten System von kleinen Holzröhren, die das Wasser aus dem Trog leiteten. Die meisten Pilze waren hart und holzig, doch ich fand auch ein paar frische, und wir aßen sie am Ende unserer Mahlzeit und genossen ihre süße Frische.
Marjorie streckte sich schläfrig aus. »Ich möchte gern hier in der Sonne schlafen«, sagte sie. »Ich fange sonst an, mich wie ein Nachtvogel zu fühlen, der niemals das Licht des Tages sieht.«
»Aber ich bin an euer Gebirgsklima nicht so gewöhnt«, meinte ich, »und im Freien werden wir wahrscheinlich noch oft genug schlafen.«
Sie machte ein spöttisch-ernstes Gesicht. »Armer Lew, frierst du? Ja, ich denke, wir gehen hinein zum Schlafen.« Sie suchte unsere schweren Kleider zusammen und trug sie hinein. Sie breitete sie auf einer alten, verlassenen Pritsche im Haus aus und zog eine Nase über den muffigen Geruch. Ich sagte: »Das ist besser als Hund«, und sie kicherte und setzte sich auf den Kleiderberg.
Sie trug ein schweres Wollhemd, das bis zum Knie reichte und lange Ärmel hatte. Ich hatte sie auf Aldaran in viel leichteren Kleidern gesehen, doch irgend etwas war an dieser Situation, das in mir ein Gefühl auslöste, das Furcht und Erschöpfung zu überlagern begann. Während der ganzen Reise hatte sie immer in meinen Armen geschlafen, doch das war ganz unschuldig gewesen. Vielleicht deshalb,
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