Hasturs Erbe
trug nicht seine gewöhnlichen Kleider in den Farben der Domäne, sondern schlichtes Schwarz, die Farbe der Trauer.
»Lord Dyan – nein, Lord Ardais, kann ich Euch mein Beileid ausdrücken?«
»Geschenkt«, sagte Dyan knapp. »Mein Vater ist seit dem Zeitpunkt Eurer Geburt nicht mehr bei Verstand gewesen. Wenn ich um ihn getrauert habe, dann ist das so lange her, daß ich nicht einmal mehr weiß, welchen Schmerz ich dabei empfunden habe. Er ist mein halbes Leben lang schon tot, nur die Beerdigung hat sich verzögert, das ist alles.« Kurz und grimmig lächelte er.
»Aber Förmlichkeit gegen Förmlichkeit, Lord Regis. Meine Glückwünsche.« In seinen Augen funkelte eine Spur Belustigung. »Aber ich vermute, auch das ist geschenkt. Ich kenne Euch gut genug, um zu vermuten, daß Ihr nicht gerade sonderlich entzückt seid, den Sitz im Rat einzunehmen. Aber natürlich kennen wir beide nur allzugut die Comyn-Formalitäten, um es laut zu sagen.« Er verbeugte sich vor Regis und ging in den Kristallsaal hinein.
Vielleicht waren diese Formalitäten auch eine gute Sache, dachte Regis. Wie konnten er und Dyan ohne sie jemals wieder höfliche Worte austauschen? Er fühlte sich sehr traurig, als hätte er einen Freund verloren, den er nie richtig kennengelernt hatte.
Die Ehrengarde, heute von Gabriel Lanart-Hastur kommandiert, wies ihnen die Plätze an. Als man die Türen schloß, rief der Regent alle zur Ordnung.
»Der nächste Tagesordnungspunkt dieser Versammlung«, sagte er, »befaßt sich mit der Regelung bestimmter Erbschaftsangelegenheiten der Comyn. Lord Dyan Ardais. Bitte tretet vor.«
Dyan in seinen ehrwürdigen Trauerkleidern trat vor und stellte sich in das Zentrum des Regenbogenlichtes.
»Wegen des Todes Eures Vaters, Kyril-Valentin Ardais von Ardais, rufe ich Euch, Dyan-Gabriel Ardais auf, den Status eines Regenten der Ardais-Domäne niederzulegen und denjenigen eines Lords Ardais anzunehmen, mit Vormundschaft und Souveränität über die Domäne von Ardais und all denjenigen, die ihr Loyalität und Unterstützung pflichten. Seid Ihr bereit, die Herrschaft über Euer Volk anzutreten?«
»Ich bin bereit.«
»Erklärt Ihr feierlich, daß Ihr nach Eurem Wissen und Gewissen fähig seid, diese Verantwortung auf Euch zu nehmen? Gibt es irgend jemanden, der Euch das Recht auf diese ernste Bürde der Verantwortung streitig macht?«
Wie viele Menschen konnten sich schon ehrlich für so etwas fähig erklären, fragte sich Regis. Dyan gab die angemessene Antwort: »Ich werde allen Zweifeln entgegentreten.«
Gabriel als Kommandeur der Wache trat an seine Seite und zog Dyans Schwert. Er rief mit lauter Stimme: »Ist hier irgend jemand, der die ehrenwerte und rechtmäßige Verantwortungsfähigkeit von Dyan-Gabriel Lord Ardais in Zweifel zieht?«
Lange Stille. Heuchelei, dachte Regis. Bedeutungslose Formalität. Diese Herausforderung wurde vielleicht einmal in Dutzenden von Jahren beantwortet, und selbst dann hatte es nichts mit der Fähigkeit zu tun, sondern mit zweifelhaftem Erbrecht. Wie lange war es her, daß wirklich jemand hier in Frage gestellt worden war?
»Ich stelle die Verantwortungsfähigkeit von Lord Ardais in Frage«, sagte eine rauhe, kämpferische, alte Stimme aus den Reihen der niederen Adligen. Dom Felix Syrtis stand auf und ging langsam zur Mitte des Raumes. Er nahm das Schwert aus Gabriels Hand.
Dyans ruhige Miene veränderte sich nicht, doch Regis, sah, daß er rascher atmete. Gabriel sagte mit fester Stimme: »Mit welchen Gründen, Dom Felix?«
Regis blickte sich schnell um. Als sein geschworener Waffenbruder und Leibwächter saß Danilo direkt neben ihm. Danilo entgegnete den Blick nicht, doch Regis sah, wie sich seine Fäuste zusammenballten. Davor, wenn sein Vater es erfahren würde, hatte Danilo Angst gehabt.
»Ich werfe ihm Unfähigkeit vor«, sagte Dom Felix, »und zwar aus dem Grund, daß er ungerechtfertigterweise die unehrenhafte Entlassung meines Sohnes veranlaßt hat, während dieser Kadett bei den Wachen war. Ich erkläre ihm die Blutrache und fordere ihn offiziell heraus.«
Alle saßen stumm und entsetzt da. Regis fing Gabriels unbewachten, zornigen Gedanken auf, wenn Dyan über jede Episode seines Lebens von dieser Art ein Duell ausfechten sollte, müßte er bis zum Sonnenaufgang des nächsten Tages kämpfen. Nur gut für ihn, daß er der beste Kämpfer in den Domänen war. Laut sagte Gabriel lediglich: »Ihr habt die Anklage gehört, Lord Ardais. Ihr müßt sie entweder
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