Hauch der Verfuehrung
ihm - so, wie er sie beschrieben hatte - ihr Leben verändern würde ... und traf auf Leere.
Ihre Zukunft.
Sie runzelte die Stirn und bemühte sich, sich auf ihre Erwartungen zu konzentrieren, aber in ihrem Kopf war da ... nichts. Sie hatte keinerlei Vorstellung von ihrer Zukunft.
Sie starrte blicklos aus dem Fenster in die Nacht und fühlte sich seltsam hohl, als sich ihre Befürchtung bestätigte. Der Mörder hatte ihr ihre Erwartungen, ihre Zukunft gestohlen; ihre Zukunft war wie eine leere Leinwand -sie hatte keine Ahnung, welche Bilder sie darauf sehen wollte.
Es war eine Art Schock, diese vollkommene Leere zu erkennen, wo doch eigentlich zumindest irgendetwas hätte sein müssen.
Sie war dreiundzwanzig, besaß eine schöne Mitgift und war insgesamt recht ansehnlich, aber trotzdem war sie wie erstarrt - auf der Schwelle ihres Lebens. Die Träume, die sie gesponnen hatte, als Thomas noch lebte, waren mit ihm verschwunden. Noch nicht einmal ein Geisterbild davon war ihr geblieben. Sobald sie von dem Albtraum der Morde - dem an ihrer Mutter und dem an Thomas - befreit war, würde sie sich nicht länger mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern sich der Zukunft zuwenden und planen. Bis dahin jedoch ... sie hegte keinerlei Erwartungen an ihre Zukunft, die sie hätten leiten können.
Aber Gerrard und sein Angebot waren da, lagen vor ihr -wie sollte sie antworten?
Indem sie zustimmte. Er hatte klargemacht, dass er sie nicht um ihre Zukunft bat, sondern um ihre Gegenwart. Er hatte von einer Liaison gesprochen - ohne Verpflichtungen.
Wenn sie jünger wäre oder sich mehr dem normalen Trubel des gesellschaftlichen Lebens zugehörig fühlen würde, wäre sie vielleicht entsetzt gewesen, hätte das Gefühl gehabt, etwas zu riskieren, hätte gezögert. Aber jetzt?
Berücksichtigte sie, was das Schicksal ihr verwehrt hatte, was ihr vielleicht sogar für immer verwehrt bleiben würde, wuchs ihr Wunsch, auf seine Bedingungen einzugehen.
»Ich möchte leben.« Der geflüsterte Satz kam ihr über die Lippen, eine eindringliche Mahnung. Eine Richtung. Wenn sie wartete ... bis wann? Wenn sie erst einmal eine alte Jungfer wäre, würde sich ihr da eine solche Chance noch einmal bieten?
Gewissheit breitete sich in ihr aus. Instinkte drängten sie, ja, aber das war nun einmal alles, was sie als Anleitung hatte. Auf diesem Gebiet verfügte sie über so wenig Vorwissen, hatte keinerlei Erfahrung darin, auf ihr Herz zu hören ...
Mit verschränkten Armen und zusammengepressten Lippen klopfte sie mit dem Fuß ungeduldig auf den Boden. Sie verspürte den heftigen Drang, einfach mit dem Nachdenken aufzuhören, ihre Tür zu öffnen und durch die stillen Korridore zu ihm zu gehen - in die Höhle des Löwen. Sie war nie impulsiv gewesen, aber jetzt, bei ihm drängten ihre Gefühle sie, den nächsten Schritt zu tun.
Nur ihre angeborene Vorsicht hielt sie zurück.
Sie kehrte dem Fenster den Rücken und ging ins Zimmer, blieb stehen, den Blick auf die Tür zum Flur gerichtet. Lange Minuten focht sie mit sich selbst einen inneren Kampf aus: nachgeben und akzeptieren oder auf ein weiteres Zeichen warten?
Oder vielleicht noch mehr Fragen stellen?
Es war nicht leicht, sich von der Tür abzuwenden, aber sie tat es trotzdem. Sie streifte ihren Morgenrock ab und stieg ins Bett, schlüpfte unter die Decke und zog sie bis zum Kinn; dann schloss sie die Augen und zwang sich einzuschlafen.
Darin war sie nicht sonderlich erfolgreich gewesen, aber sie fühlte sich ausgeruht genug, als sie sich am nächsten Morgen zu den anderen in den Frühstückssalon begab. Sie war sich bewusst, dass Gerrard sie eindringlich musterte, wünschte ihm aber nur ganz unverfänglich einen guten Morgen und widmete sich ihrem Tee und ihrem Toast.
Ein eindringlicher Blick zählte nicht als Zeichen.
Der Tag war schön. Sie, Gerrard und Barnaby beschlossen, in Gerrards Kutsche nach Trewarren Hall zu fahren; seine Pferde brauchten Bewegung. Sie nahmen die Straße nach Portscatho, die an den Klippen am Kanal entlangführte. Trewarren Hall lag ein paar Meilen hinter den Klippen -weit genug, dass die Bäume im Park hoch und gerade in den Himmel ragten, nicht gebückt und verwachsen von den stetigen Kanalwinden.
Lady Trewarren war kurz irritiert, als sie erkannte, dass Gerrard und Barnaby sich zu der Gruppe gesellen wollten, erholte sich aber rasch, sandte Barnaby in den Ballsaal, damit er beim Aufhängen der Girlanden half, während Gerrard aufgetragen wurde, mit
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