Hauch der Verfuehrung
Eingang zum Garten der Nacht stand.
Vor dem letzten Schritt zu ihrer Befreiung.
Wenn sie eine Pause benötigte, gestattete er ihr, sich auf einen Stuhl zu setzen; das Gesicht musste jedoch die gleiche Mimik aufweisen, wie wenn sie stand; sie erzählte ihm also von ihrer Vergangenheit - von ihrer Mutter und Thomas, alles, was sie wegen ihres Todes empfand, wie sehr die Gerüchte sie gekränkt hatten.
Es machte ihr nichts mehr aus, darüber zu reden, doch wenn sie es tat, konnte sie spüren, wie die alten Gefühle wieder wach wurden - sie wusste, dass sie ihm deshalb davon erzählen sollte; er wollte diese Gefühle einfangen und alles, was sich auf ihrer Miene zeigte, auf seine Leinwand bannen.
Immer mehr - und mehr, als sie erwartet hätte - wurde das Bild eine gemeinsame Erfahrung; sie hatte sich nicht vorstellen können, dass Maler und Modell derart Zusammenarbeiten könnten; doch bei ihnen beiden funktionierte es vortrefflich.
Seine Arbeit wurde ihr immer vertrauter, sie wusste sein Genie immer besser zu schätzen. Denn ein Genie war er. Die Gestalt, die auf der Leinwand langsam Form annahm, war so lebendig, dass sie jedes Mal, wenn sie sie anschaute, beinahe erschrak, weil sie selbst es war.
Seit dem Tag ihrer Ankunft in London hatte sie Barnaby nicht mehr gesehen, aber eines Abends am Ende der ersten Woche kam er zu ihnen, als sie und Gerrard sich gerade auf Lady Chartwells Soiree unter die anderen Gästen gemischt hatten.
»Da seid ihr ja!« Barnaby schaute sich im Saal um. »Eigentlich ist die Stadt im Sommer gar nicht so schlimm -trotz der Hitze ein ganzes Stück angenehmer als jede verflixte Hausgesellschaft.«
»Und auf wessen Hausgesellschaft waren Sie denn?«, erkundigte sich Jacqueline.
Barnaby schnitt eine Grimasse. »Auf der meiner Schwester.« Er blickte Gerrard in die Augen. »Und sie hatte tatsächlich diese schreckliche Melissa eingeladen.«
Gerrard grinste. »Wie bist du entkommen?«
»Heimlich, still und leise im Schutz der Nacht.«
Jacqueline lachte.
Barnaby legte sich eine Hand aufs Herz. »Ehrenwort.«
»Aber weshalb sind Sie denn überhaupt hingegangen?«, fragte sie.
»Ich habe meinen Vater gesucht. Habe ihn dort auch getroffen, und er hat, Teufel noch mal, mit mir die Chance zur Flucht zurück in die Stadt genutzt. Er hat sich in Bedford Square versteckt und schwört, von dort nicht mehr zu weichen, außer zu Geschäften. Das kommt mir sehr zupass -ich hatte genug Zeit, um ihn auf dem Weg nach London auszuhorchen.«
»Was hast du in Erfahrung gebracht?«, wollte Gerrard wissen. Barnabys Vater, der Earl of Sanford, gehörte dem neuen Komitee Adeliger an, das die kürzlich eingeführte Stadtpolizei überwachte.
Barnaby blickte sich um, vergewisserte sich, dass sich niemand sonst in Hörweite befand. »Vater denkt wie wir -er ist sogar reichlich beeindruckt von unserem Talent.« Barnaby grinste kurz, dann wurde er wieder ernst. »Aber besser noch, er hat mir beigepflichtet, mit Stokes zu sprechen.«
»Wer ist Stokes?«
»Ein Ermittler - wenn ich recht verstanden habe, ist sein Titel jetzt Inspektor - bei der Bow Street. Er ist mehr oder weniger ein Gentleman, aber was noch wichtiger ist: Er hat sich einen Namen darin gemacht, komplizierte Verbrechen wie das, mit dem wir es hier zu tun haben, aufzuklären.« Barnaby erwiderte Jacquelines Blick. »Ich kann für seine Diskretion bürgen, aber da wir zurzeit nicht genug für eine förmliche Anklage haben, hoffe ich, von ihm einen Hinweis zu erhalten, in welcher Richtung wir nach unserem Mörder Ausschau halten müssen.«
Barnaby schwieg, schaute Jacqueline an. Da Gerrard begriff, was Barnaby von ihr wollte - warum er sie aufgesucht hatte fragte er sie: »Ist es dir recht, wenn Barnaby alles, was wir wissen und vermuten, mit Stokes bespricht?«
Sie richtete ihren Blick wieder auf Barnaby. »Ja. Wenn er helfen kann oder auch nur einen Vorschlag machen, wer hinter den Morden stecken könnte, dann sprechen Sie natürlich mit ihm.«
»Lass uns nur wissen, was er meint«, bat Gerrard.
Barnaby grinste wieder. »In Ordnung. Ich plane nicht, nach Hellebore Hall zurückzukehren, ehe das Porträt fertiggestellt ist. Ich halte mich unauffällig am Rande des Geschehens. Wenn du mich brauchst, schick einfach nach mir.«
Mit einem zackigen Salut verließ er sie. Innerhalb weniger Minuten verabschiedete er sich von der enttäuschten Gastgeberin.
Eine Weile später schlugen die Uhren Ihrer Ladyschaft zehn, und sie musste eine weitere
Weitere Kostenlose Bücher