Hauch der Verfuehrung
Enttäuschung verkraften. Gerrard brachte Jacqueline zu ihr und entschuldigte sich mit seinem gewohnten Charme - und ohne einen triftigen Grund anzuführen. Lady Chartwell lächelte, tätschelte Jacqueline die Hand und ließ sie gehen. Seine Stadtkutsche wartete schon; innerhalb weniger Minuten waren sie auf dem Weg zurück in sein Atelier.
Tage vergingen. Jacqueline stand Modell, Gerrard malte, und das Porträt gewann an Leben.
Es nahm ihn immer mehr gefangen, ja, es grenzte schon an Besessenheit. Die einzige Ablenkung, die seine Konzentration unterbrechen konnte, war Jacqueline selbst.
Sie zog seine Aufmerksamkeit auf eine Art und Weise auf sich, die alles andere mühelos an den Rand drängte. Wie es geschehen war, wusste er nicht, aber sie, ihre Nähe, das Wissen, dass sie sein war, war für ihn lebenswichtig geworden - der Dreh- und Angelpunkt seines Daseins, die Essenz seiner Zukunft. Sogar während er all seine Energie auf ihr Porträt verwandte, nagte diese neue Verletzlichkeit an ihm. Er hatte sie noch nicht sicher - er hatte noch nicht um ihre Hand angehalten, und sein Antrag war noch nicht angenommen worden.
Immer wieder dachte er daran, eine Eheschließung zu erwähnen, es einfach zu tun, und die Sache ein für alle Mal hinter sich zu bringen.
Immer wieder fiel ihm ein, dass sie in gewisser Weise in seiner Schuld stand, von ihm abhängig war - wegen des Porträts. Sie brauchte ihn und sein Talent, um die Freiheit zu gewinnen, ihr Leben zurückzubekommen. Der Gedanke, dass sie sich deswegen vielleicht verpflichtet fühlen könnte, seinen Antrag anzunehmen, erfüllte ihn mit wachsendem Entsetzen.
Wenn er sie jetzt fragte, bevor das Porträt fertig war, wie wollte er da wissen, oder sich gar sicher sein, dass sie aus den richtigen Gründen ja sagte?
Was ihn wieder zu der Quelle seiner Unsicherheit zurückbrachte - er konnte einfach nicht erraten, was in ihr vorging. Was sie wirklich für ihn empfand, wie sie ihn sah. Für einen Mann, der sich eingebildet hatte, die Frauen zu verstehen, war das eine niederschmetternde Erkenntnis.
»Meine Liebe, ich bin ja so froh, dass Gerrard Sie auserwählt hat.«
Jacqueline blinzelte verwundert. Sie starrte die uralte, nicht mehr ganz klare, aber reizende alte Dame an, die sie erst vor fünf Minuten kennengelernt hatte.
Tante Clara streckte den Arm aus und tätschelte Jacqueline mit ihren vom Alter verkrümmten Fingern die junge Hand. »Es ist immer so eine Erleichterung, wenn unsere jungen Männer vernünftige Entscheidungen treffen - sie sind alle so gute Jungen, aber manchmal hat man den Eindruck, als sträubten sie sich ...«
Es war etwa Mitte der dritten Woche in London; Jacqueline und Millicent hatten rasch Anschluss gefunden. An diesem Nachmittag nahmen sie an einer Teegesellschaft in St. Ives House am Grosvenor Square teil.
Während sie ihr Tante Clara vorstellte, eine steinalte geborene Cynster, hatte Honoria Jacqueline zugeflüstert, dass der Verstand der alten Dame sich gelegentlich umwölkte, auch wenn sie durchaus klare Moment hatte. Daher beugte sich Jacqueline nur vor, lächelte und erwiderte leise: »Ich fürchte, da haben Sie etwas missverstanden. Gerrard und ich sind nicht verlobt.«
An ihrer Teetasse nippend nickte Tante Clara. »Nein, nein - natürlich nicht. Ganz recht.« Sie stellte die Tasse wieder auf die Untertasse, dann fuhr sie unbekümmert fort: »Nicht, dass wir viele Verlobungen in dieser Familie haben - sie sind sogar richtig selten. Oft zieren sie sich lange, aber haben sie sich erst einmal entschlossen, dann wollen sie meist alles am liebsten schon gestern unter Dach und Fach haben - und dass ihre erwählten Frauen ihnen das Bett wärmen, wissen Sie?«
Ein nachsichtiges Lächeln spielte um die Lippen der alten Dame. Jacqueline betrachtete sie fasziniert.
»Ganz vernarrt sind sie, jawohl. Und in diesem Fall, da diese schreckliche Sache über Ihnen schwebt und der liebe Gerrard Tag und Nacht an dem Porträt arbeitet, um Sie zu erlösen, wage ich zu sagen, dass eine offizielle Verlobung im Moment keinen größeren Raum in seinem Kopf einnimmt. Genau betrachtet« - Tante Clara lehnte sich vor und senkte ihre Stimme zu einem zittrigen Wispern - »alles in allem, bezweifle ich sehr, dass ihm eine Verlobungszeit, egal welcher Dauer, gefallen wird.«
Jacqueline erkannte, dass es ihr nicht gelungen war, sich deutlich auszudrücken. »Eigentlich ...«
»Ich habe Patience erst gestern sagen hören, dass es sie nicht überraschen
Weitere Kostenlose Bücher