Hauch der Verfuehrung
Timms und Patience hatten das Interesse verloren, sie zu begleiten, waren aber immer noch begierig, sie in dem endgültigen Gewand zu sehen.
Jacqueline zögerte, dann fiel ihr ein, dass Gerrard in seinem Werk ja noch nicht bei den Einzelheiten angekommen war, sondern nur die Konturen ihres Körpers festhielt. Er hatte ihr versprochen, dass die Sitzung diese Nacht kurz ausfallen würde, in gewisser Weise eine Vorübung für die langen Stunden, die ihr noch bevorstanden; jetzt konnte sie erst einmal ihre Gesichtsmuskeln entspannen - durfte lächeln, als sie an den Rest des Tages dachte.
Während der Reise hatte sie sich gefragt, ob sie seine Familie, und zwar vor allem die weiblichen Mitglieder, wohl einschüchternd finden würde; sie gehörten schließlich alle den besten gesellschaftlichen Kreisen an, und das schon ihr ganzes Leben. Zugegeben, sie war nicht leicht einzuschüchtern, doch das unverhohlen herzliche Willkommen, das sie ihr bereitet hatten, und die Leichtigkeit, mit der sie sich in ihrer Mitte entspannt hatte, überraschte sie nicht nur, sondern gab ihr insgesamt Auftrieb.
Sie war nicht nur beruhigt, sondern mehr - sie fühlte sich, als sei sie eine von ihnen, angenommen und mit offenen Armen empfangen.
Millicent schien ebenfalls froh und dankbar. Ihre Tante hatte sich bereits mit Minnie und Timms angefreundet; sie waren sich in vielen Dingen ähnlich und gern damit beschäftigt, das Leben ihrer Mitmenschen in ihrer Umgebung zu verfolgen.
Als sie sich nach oben begeben hatte, um sich zum Dinner umzuziehen, hatte sie alle ängstlichen Vorbehalte verloren. Auf das Essen im Familienkreis freute sie sich aufrichtig.
Zu ihrer Überraschung war Gerrard im Haus eingetroffen, während sie sich noch umzog. Er war im Empfangssalon auf und ab gelaufen, hatte sie dann in seine Kutsche verfrachtet, sobald sie fertig war, und es Millicent überlassen, später mit Minnie und Timms nachzukommen. Sie waren zu Patiences Haus in der Curzon Street gefahren - und geradewegs in das Kinderzimmer gegangen.
Ihr Lächeln wurde breiter. Sie hatte sich bis dahin Gerrard nicht mit Kindern vorgestellt, aber das Trio, das unter Begeisterungsstürmen auf ihn zugerannt kam, war sich seines Empfangs völlig sicher. Mit vollkommener Berechtigung, wie sich herausstellte. Er hatte ihnen eine halbe Stunde gewidmet. Nach der stürmischen Begrüßung hatte er sie vorgestellt; die Kinder hatten gelächelt und sie mit demselben Vertrauen unter sich aufgenommen wie ihre Eltern -als wäre sie, einfach weil sie mit Gerrard kam, automatisch ein Mitglied ihres Zirkels.
Er hatte ihnen Geschichten von den Gärten in Hellebore Hall erzählt. Sie saßen still da und lauschten ihrem Onkel gebannt; das kleine Mädchen namens Therese war voller Zuversicht auf ihren Schoß geklettert, dort auch willkommen zu sein. Sie hatte gelächelt und das warme kleine Bündel Mensch zurechtgesetzt, dann ihre Wange auf den Scheitel der Kleinen gelegt und zugehört, wie Gerrard ihr Zuhause auf eine Weise vor ihren Augen erstehen ließ, wie sie es nie zuvor erlebt hatte.
Aber natürlich erkannte sie es wieder. Das war sein ganz besonderes Talent, die Magie in Landschaften - geschaffen von Mensch und Natur - zu sehen und zu beschreiben.
Als sie den Gong vernahmen, der sie zum Essen nach unten rief, ging sie ebenso ungern, wie die Kinder sie gehen lassen wollten. Zu ihrer Überraschung hatte Therese sie auf die Wange geküsst und sie mit ernsthafter Miene davon in Kenntnis gesetzt, dass sie nächstes Mal wieder mit Gerrard zu Besuch kommen solle.
Gerührt lächelte sie. Sie beugte sich vor, hauchte einen Kuss auf Thereses Stirn, dann zauste sie ihr zärtlich die goldenen Löckchen. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihr breit, warm und wohlig - selbst jetzt, als sie sich erinnerte, war sie sich seiner Bedeutung nicht sicher.
Sie waren nach unten gegangen in den Speisesalon. Sie hatte damit gerechnet, dass es anstrengend werden würde, eine Art Prüfung, die sie bestehen mussten. Stattdessen war es ein entspannter und unterhaltsamer Abend geworden, mit viel Gelächter, langen Gesprächen und Wohlwollen, wohin man auch sah.
Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Männer so charmant wären. Niemand musste ihr sagen, dass sie Macht und Einfluss besaßen, nicht nur gesellschaftlich, sondern auch sonst. Devil Cynster, Duke of St. Ives, war das Oberhaupt der Familie, eine Verantwortung, die zu tragen er geboren war - was er mit Flair auch tat. Er war beeindruckend,
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