Hauch der Verfuehrung
einen breiten Bach glitzern sehen konnten, der sich durch das Tal ergoss. »Der Bach wird von einer Quelle gespeist, die in einer Grotte mittig unter der Terrasse entspringt. Poseidon herrscht somit an dem Punkt, wo sein Wasser sich ungehindert durch das Tal ins Meer zu ergießen vermag, sodass die Küste selbst Neptun überlassen bleibt.«
»Aha! Sehr gut!« Barnaby spähte in das Tal hinab zu der entfernten Küstenlinie, aber sie war zu weit, und zu viele Bäume versperrten den Blick, um wirklich etwas erkennen zu können.
Gerrard kam zu dem Schluss, dass er lange genug gewartet hatte; der Garten des Poseidon schien sich genau unterhalb des dicht bewachsenen Areals zu befinden, das er gestern Abend bemerkt hatte. »Wo ist der berühmte Garten der Nacht?«
Er stand neben Jacqueline; sie rührte sich nicht, doch ihm entging nicht, wie sie sich anspannte. An ihrer Miene konnte man nichts ablesen, aber ihr Gesicht war plötzlich zur Maske erstarrt. Als sie dann jedoch sprach, war ihr Ton gleichmäßig, aber ohne Gefühl.
»Den Garten der Nacht erreicht man durch den Garten des Poseidon oder direkt von der Terrasse aus über die Gartentreppe. Er grenzt an die Terrasse; genau genommen ist die Grotte mit der Quelle Teil des Gartens der Nacht - oder eigentlich des Gartens der Venus; sie war außer der Göttin der Liebe auch die erste Göttin der Gärten und nimmt daher eine so prominente Stelle ein.« Jacqueline schaute nach unten und setzte einen Fuß aus der Pergola auf den mittleren der drei Wege. »Sie haben sicherlich schon von den verschiedenen Pflanzen gehört, die im Garten der Nacht wachsen. Da er dem Haus am nächsten liegt, besichtigen wir ihn später.«
Gerrard schwieg. Er folgte ihr in den Sonnenschein, die anderen hinter ihm.
Ihren Sonnenschirm wieder zum Schutz über sich haltend, machte Jacqueline eine Geste in Richtung zum rechten Pfad, der sich an dem steilen Anstieg nördlich entlangwand. »Hier kommt man durch den Garten des Dionysos -er ist voller Weinstöcke verschiedenster Rebsorten. Dahinter kann man die Zypresse im Garten des Hades erkennen; Zypressen sind ja nun typische Friedhofsbäume. Der Weg trifft weiter unten im Tal wieder auf diesen hier, beim letzten Aussichtspunkt.«
Sie deutete auf die Umgebung. »Das Areal direkt unter dem Poseidon-Garten ist der Garten des Apoll; er ist einer der Gärten mit Statuen. Apoll ist der Gott der Musik, daher das vergoldete Abbild einer Lyra.«
Sie gelangten zu der Statue, ein kompliziert geschmiedetes Eisenkunstwerk auf einem Podest in der Mitte eines Rasenstücks. Der Weg schlängelte sich darum herum und führte dann weiter. Sie näherten sich dem Bach; eine schmale Holzbrücke überspannte ihn. »Musik«, fuhr Jacqueline fort, »erzeugt auch in gewisser Weise das Wasser des Baches, wenn es über die Steinen und die kleinen Wehren plätschert, die hie und da errichtet sind.«
Sie blieben stehen und lauschten. Wassermusik war in der Tat zu hören, ein Gurgeln und Plätschern, fast wie leiser Gesang. Es war ein angenehmes, entspannendes Geräusch. Gerrard blickte sich genauer um; überall erfreuten sattgrüne Rasenflächen und üppige Blumenbeete.
Jacqueline betrat die Brücke. »Apoll war auch der Gott des Lichts, und dieser Garten hat am längsten von allen Tageslicht. Die Sonnenuhr dort« - sie befand sich genau vor ihnen neben dem Weg — »markiert die Stelle, die der Mittelpunkt aller Gärten sein müsste.«
Sie folgten ihr weiter. Der Weg senkte sich entlang dem dicht bewachsenen Bachufer zum Meer hinab. Als er zurückschaute, bemerkte Gerrard, dass das Dach des Hauses zwar noch hoch über dem Tal zu sehen war, andere Bereiche der Gärten, durch die sie eben erst gekommen waren, allerdings nicht. Man konnte sich hier tatsächlich leicht verlaufen.
»Die vier Hauptaussichtspunkte«, fuhr Jacqueline fort, als sie den nächsten erreichten, eine rechteckige Steinplattform mit Holzdach, »sind an den Hauptkreuzungen der Gartenwege angelegt, wo mehrere Gärten aneinandergrenzen.«
Von der Steinplattform weg führten fünf Wege, der eingeschlossen, auf dem sie hergelangt waren.
»Wir haben gerade den Apoll-Garten verlassen. Dieser Pfad dort«, Jacqueline deutete auf den nächsten Weg an der höheren Seite der Plattform, »verläuft durch die Gärten von Poseidon und Venus zum Haus zurück. Der nächste bringt einen ebenfalls wieder zum Haus, allerdings durch die Gärten der Diana, der Athene und der Artemis - diesen Weg nehmen wir dann später.
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