Hauch der Verfuehrung
Oder bei Sonnenaufgang. Oder vielleicht, wenn es stürmt?« Er wollte mehr Spiel von Licht und Schatten auf dem Zyklop-Felsen und auch mehr Bewegung um ihn herum.
Er stieß sich von dem Steinblock ab, richtete sich auf und drehte sich um.
Nur um zu entdecken, dass Jacqueline sich zu ihm beugte, während sie mit einer Hand versuchte, ihr Haar aus dem Gesicht zu halten.
Plötzlich waren sie sich sehr nahe; ihre Nasen waren nur ein paar Zoll voneinander entfernt. Ihre Lippen waren halb geöffnet; sie hatte etwas sagen wollen und sich deshalb vorgelehnt.
Ihre Blicke verfingen sich. Er sah ihr tief in die moosgrünen Augen und erkannte, dass sie vergessen hatte, was sie ihm hatte mitteilen wollen.
Ohne es verhindern zu können, richteten sich seine Augen nach unten auf ihre Lippen. Weich, unendlich weiblich, geformt für Leidenschaft, und nur wenige Zoll von seinen entfernt.
Wie ihr Körper auch, jener köstliche Busen, ihre überaus weiblichen Kurven. Damit ihre Körper sich berührten, musste er nur eines tun: einen halben Schritt machen.
Der Drang war beinahe übermächtig; einzig der Gedanke, dass sie in Panik geraten könnte, hielt ihn zurück. Trotzdem fühlte er die Verlockung jener Lippen, den Wunsch, sie zu kosten, seine Hände zu heben, ihr Gesicht zu halten und so zu drehen, dass er ihren Mund mit seinem bedecken konnte und erfahren ...
Sein Blick senkte sich auf die Stelle, wo ihr Puls rasch an ihrem Halsansatz schlug, dann weiter nach unten zu ihrem Busen, hoch angesetzt, voll ... bewegungslos. Sie atmete nicht.
Er zwang sich aufzusehen, schaute ihr in die Augen und las darin, wie erschreckt, verblüfft und unsicher sie war -gleichsam völlig jenseits von dem, was ihr vertraut war.
Er durfte solche Unschuld nicht ausnutzen, solch klare, unverhohlene Naivität. Sie war zwar vielleicht dreiundzwanzig, aber sie hatte keine Ahnung, was sich hier abspielte.
Sie hatte eindeutig keinerlei Erfahrung mit Verlangen -und noch weniger mit körperlicher Lust.
Seine Gefühle wieder unter Kontrolle bringend, fasste er sie am Arm und schob sie sanft ein Stück zur Seite, sodass er wieder auf den Weg treten konnte.
»Äh ...« Jacqueline blinzelte ratlos und blickte sich um, richtete die Augen auf den Zyklop-Felsen. »Ich wollte fragen ...«
Sie holte tief Luft, rang um die Macht über ihre in alle Richtungen zerstobenen Gedanken. Ohne den Blick von dem Felsen zu nehmen, bemühte sie sich, wieder die Gewalt über sich zu erlangen und den Mann neben sich zu ignorieren. »Ich wollte wegen Mr. Adair fragen. Er wird doch nicht so leichtsinnig sein und wirklich diesen Felsen erkunden wollen, oder?«
Als ihr Begleiter nicht sofort antwortete, sah sie ihn kurz an, bereit, vor Verlegenheit im Boden zu versinken, falls er irgendeine Bemerkung zu diesem spannungsgeladenen Moment machen sollte.
Doch er schaute sie gar nicht an, sondern auf den Felsen. Er nahm sie wieder beim Arm und marschierte mit ihr los. Zögernd und mit dem Versuch, die Gefühle nicht zur Kenntnis zu nehmen, die seine Berührung in ihr weckten, lief sie neben ihm her.
»Barnaby ist von unstillbarer Neugier, aber er handelt nicht unüberlegt - er bringt sich sicher nicht selbst in Gefahr. Er ist vieles, vielleicht auch unverbesserlich leichtsinnig und manchmal zügellos, aber dumm ist er bestimmt nicht.«
»Das wollte ich auch nicht andeuten«, beeilte sie sich zu versichern. »Aber, nun, Sie wissen ja.« Sie machte eine Handbewegung. »Junge Männer und ihre Torheiten, ihr Hang zu Leichtsinn.«
Gerrard schaute sie an. Sie erwiderte seinen Blick - und bemerkte, dass seine Augen warm leuchteten, seine Lippen sich entspannt hatten und in den Mundwinkeln leicht nach oben wölbten; er war wahrhaftig amüsiert und nicht absichtlich charmant.
Sein natürliches Lächeln hatte eine viel verheerendere Wirkung, als er ahnte.
»Junge Männer«, wiederholte er, dann erklärte er ruhig: »Weder Barnaby noch ich sind so jung.«
Sein Blick fixierte den ihren einen Moment, glitt zu ihren Lippen - doch dann schaute er wieder nach vorne.
Sie gingen fünf Schritte, ehe ihr wieder einfiel, wie man atmete.
Dumm, dumm, dumm! Sie musste diese lächerliche Empfindsamkeit überwinden, die er irgendwie bei ihr auslöste. Sicherlich, sie hatte ein ruhiges und zurückgezogenes Leben auf dem Lande geführt, aber sie hatte ausreichend Abendgesellschaften hier besucht - und sie hatte noch nie, nie und nimmer auf irgendeinen Gentleman so reagiert, auf ihn als Mann, auf seine
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