Hauch der Verfuehrung
Während er über den mit Kies bestreuten Weg durch Athenes Garten marschierte, zwischen ordentlich gestutzten Hecken und in geometrischen Mustern gepflanzten Olivenbäumen hindurch, badete der Mond alles in seinem schimmernden Licht, malte hier scharfe Schatten und überzog dort mit Silber.
Sie erreichten die Mitte des klassischen Gartens, einen Ring zwischen den Innenpunkten von vier länglichen Rechtecken. Jäh blieb Gerrard stehen, ließ Jacquelines Hand fallen und fuhr herum, schaute ihr ins Gesicht.
Seine Augen wirkten schwarz in der Nacht, als sein Blick auf ihrem Gesicht ruhte und sich in den ihren bohrte. »Sie wissen, weshalb Ihr Vater mich - und zwar ausdrücklich mich - haben wollte für Ihr Porträt, nicht wahr?«
Sie musterte seine Miene, dann hob sie das Kinn. »Ja.«
»Woher wissen Sie davon?«
Weil sie und Millicent sich den Plan ausgedacht hatten, und Millicent die Idee ihrem Bruder dann in den Kopf gesetzt hatte. Sie entschied sich dagegen, ihm das zu gestehen; sie wollte zuerst herausfinden, weshalb er so wütend war. »Er hat es mir nicht gesagt, aber nachdem ich von Ihrem Ruf gehört hatte, war seine ... Absicht dahinter nicht schwer zu erraten.«
»Nicht für Sie oder für andere, die an den Todesumständen Ihrer Mutter interessiert sind.«
Eine Schlinge legte sich um ihre Brust, zog sich zusammen; sie achtete nicht weiter darauf. »Ich nehme an, dass das so ist, obwohl ich nicht viel darüber nachgedacht habe.«
»Die anderen haben das auf jeden Fall getan.«
Sie hoffte es, aber sein Ton klang zornig. Verunsichert schwieg sie.
Nachdem er eine kleine Weile ihr Gesicht studiert hatte, erklärte er abrupt: »Spielen wir mit offenen Karten.«
Als sie überrascht die Brauen hochzog, wurde er genauer: »Und sprechen wir offen. Aus irgendeinem Grund, den ich noch herausfinden muss, stehen Sie unter Verdacht, in gewisser Weise für den tödlichen Sturz Ihrer Mutter von dieser Terrasse da« - er zeigte mit dem Finger auf die fragliche Stelle - »verantwortlich zu sein. Ihr Vater ...« - seine Wangenmuskeln arbeiteten, als er die Zähne zusammenbiss; die Hände in die Hüften gestemmt, drehte er sich um und entfernte sich ein paar Schritte von ihr - »... Ihr Vater gehört zu den Leuten, die an die Mär glauben, dass Porträtmaler die besondere Gabe haben, unter die Oberfläche sehen zu können. Daher hat er mir den Auftrag erteilt, ein Porträt von Ihnen zu fertigen; er ist vermutlich davon überzeugt, dass ich erkenne und durch mein Gemälde allen aufzeige, ob Sie unschuldig sind oder schuldig.«
Mühsame Beherrschung ..., nein, das war ein zu schwacher Ausdruck ... unterdrückte Wut sprach aus jeder seiner abgehackten Bewegungen, jedem hervorgestoßenen Wort. Er wirbelte herum, kam wieder zu ihr zurück. Vor ihr blieb er stehen und schaute ihr ins Gesicht. »Trifft das zu?«
Sie hielt seinem Blick stand, ging alles durch, was er gesagt hatte; dann nickte sie. Einmal. »Ja.«
Eine Sekunde lang dachte sie, er würde explodieren. Doch dann kehrte er ihr erneut den Rücken zu, hob die Hände in die Höhe, als riefe er den Beistand der Götter an, deren Gärten sie umgaben. »Um Himmels willen, warum?«
Er drehte sich wieder um, durchbohrte sie mit seinem Blick. »Warum verdächtigt Ihr Vater Sie? Wie kann er nur? Sie hatten nichts damit zu tun.«
Sie starrte ihn an, sprachlos, war einen Augenblick lang überzeugt, dass sich plötzlich der Boden unter ihren Füßen bewegt hatte. Langsam blinzelte sie, aber seine Miene -die verärgerte Überzeugung, die sie darin lesen konnte, mit Mondsilber überzogen - änderte sich nicht. Leise atmete sie aus; die Schlinge um ihre Lungen lockerte sich ein wenig. »Woher wissen Sie das?«
Er wusste es, er war sich vollkommen sicher; das stand in seinem Gesicht geschrieben. Er hatte bereits nach kurzer Zeit die Wahrheit erkannt, wozu andere nicht imstande waren.
Ungeduldig schnitt er eine Grimasse, doch die Überzeugung wich nicht. »Verstehe - ich weiß. Glauben Sie mir, ich weiß es einfach.« Er trat näher, schaute ihr mit seinem rasiermesserscharfen Blick ins Gesicht. »Ich habe das Böse gesehen - ich habe in die Augen von mehr als einem Menschen geschaut, der von Grund auf böse war. Manche wissen es gut zu verbergen, aber wenn ich eine Weile in ihrer Gesellschaft verbringe, dann passen sie einen Moment nicht auf und lassen ihre Maske fallen - und dann sehe ich das.«
Gerrard machte eine Pause, schaute ihr weiter eindring-lich in die Augen. »Ich
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