Hauchnah
dass er sogar Hautzellen hinterlassen hat. Und seine DNA befand sich auch auf diesem Becher, den du in dem verlassenen Haus sichergestellt hast. Mit dem Kriminaltechniker von der Polizei von Plainville habe ich abgeglichen, dass seine Fingerabdrücke dort überall zu finden waren, außerdem in einem abgestellten Taxi, das heute früh gefunden worden ist.“
„Tja, mit allem Drum und Dran.“ Mac schüttelte gedankenverloren den Kopf.
„Was?“
„Er ist gerade tot in Sacramento aufgefunden worden. Gestorben an einer Überdosis Heroin. Die Polizei von Sacramento ist am Ort des Geschehens.“
„Und warum ist das ein Problem?“
„Kein Problem. Danke für die Informationen, Littlefield.“
„Klar doch, Mann.“
Nein, kein Problem, dachte Mac. Vordergründig gesehen bedeutete Hanes’ Tod sogar, dass für Natalie keine Gefahr mehr bestand. Doch für Mac blieben noch zu viele Fragen unbeantwortet. Die Entwicklung des Falls befriedigte ihn nicht wirklich.
Was hatte Hanes geglaubt, auf Natalies Fotos entdecken zu können? Warum hatte er Lindsay umgebracht? Und wusste Clemmons, wo sein Bruder sich aufgehalten hatte, bevor er in die Gemeinde zurückkehrte? Hatte er es überhaupt für nötig gehalten, zu fragen? Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Gottesmann keine Fragen stellte, wenn sein Bruder, ein früherer Schwerverbrecher, sieben Monate lang untertauchte, bevor er ihn wieder in seine Herde aufnahm.
Nein, dass Alex Hanes tot war, zählte nicht. Dieser Fall warnoch nicht abgeschlossen. Noch lange nicht. Trotzdem war Hanes’ Tod für Natalie, zumindest theoretisch, ein Glücksfall. Das wollte er ihr sagen, wollte sie besuchen, was er schon den ganzen Tag zuvor hatte tun wollen. Jetzt war es an der Zeit. Seitdem er mit Carmen Delgado, der Freundin von Jase’ Schwester, gesprochen hatte, war seine Entschlossenheit bezüglich Natalie ins Wanken geraten. Und dass, obwohl er mit Jase eine klare Übereinkunft hatte, sich von ihr fernzuhalten. Natalies Selbstständigkeit angesichts ihrer erst kürzlich erfolgten Erblindung war außergewöhnlich, und das hatte seine Schwäche für sie noch verstärkt.
Er konnte nicht mit ihr zusammen sein. Nicht im biblischen Sinn. Er konnte nicht der Mann sein, auf den sie für den Rest ihres Lebens vertraute. Gut. Doch er konnte ihr Freund sein. Konnte ihr durch eine schwere Lebensphase helfen. Und das würde er tun. Gleich nachdem er nach Sacramento gefahren war und Alex Hanes und dessen Kirchengemeinde persönlich in Augenschein genommen hatte.
Bei Sonnenaufgang war Natalie bereits wach. Wie jeden Morgen drehte sie sich auf die Seite zum Fenster hin. Wärme drang durch die Scheibe und den Baumwollvorhang, doch sie wirkte nicht so beruhigend wie sonst. Zum ersten Mal seit Wochen überforderte sie die Vorstellung, aufstehen zu müssen. Dann hörte sie das gedämpfte Klimpern der Windspiele vor ihrem Fenster. Dachte an den kleinen Laden auf den Philippinen, wo sie sie gekauft hatte. Dachte an alles, was sie in ihrer Kindheit überlebt hatte, daran, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte und wie weit sie gekommen war.
Sie war nicht wie ihre Mutter. Sie war stärker.
Ja, am Vorabend war sie beschämt zu Bett gegangen, und ja, sie hatte sich bereitwillig der Verbitterung und dem Selbstmitleid geöffnet und sich davon wie mit Teer überzogen gefühlt. Doch nun mal ehrlich, sie konnte sich schlecht den ganzen Tag lang in ihrem Zimmer verkriechen.
Die Zeit für Selbstmitleid ist vorbei, Natalie. Und jetzt stell dir die Fragen.
Vorher holte sie tief Luft. Laut sprach sie dann die zwei Fragen aus, die sie sich seit einem Jahr jeden Morgen stellte.
„Gebe ich so leicht auf? Und wäre das so schlimm?“
Sie ließ den Kopf hängen und umklammerte die Kanten ihrer Matratze, als die Antworten sich in ihrem Kopf nicht unverzüglich einstellten. Wieder wandte sie sich dem Fenster zu und versuchte sich den Ausblick in den Garten vorzustellen, den sie früher so gern gepflegt hatte. Irgendwie waren sämtliche Ecken und Winkel quälend detailliert in ihrem Gedächtnis gespeichert, einschließlich der von Passionsblumen und Kamelien umgebenen schmiedeeisernen Bank in der verschwiegenen Ecke.
Gab sie so leicht auf?
Vielleicht, entschied sie schließlich. Aber nicht an diesem Tag.
Sie setzte sich auf, schwang die Beine über die Bettkante, stand auf und zog den hässlichsten Jogginganzug an, den sie besaß. Dann band sie ihr Haar zu einem Pferdeschwanz und ging in die
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