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Hauptsache, es knallt!

Hauptsache, es knallt!

Titel: Hauptsache, es knallt! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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den anderen merkt man den Wodka viel mehr an als dir. Bei einigen hat er positive Folgen. Paradebeispiel Regula Richter. Die macht jetzt nebenan in der Klugscheißerrunde Stimmung, alter Schwede. Was lautes Lachen betrifft, laufen die meinem Tisch noch glatt den Rang ab. Bei einigen anderen bin ich dagegen eher beunruhigt. Der Künstlerfotograf sitzt am Brauttisch, hat seine prähistorische Kamera auseinandergebaut und erklärt lallend, warum sie die beste der Welt ist. Dazu schwenkt er den Leuten die Einzelteile vor der Nase herum. Einmal hätte er fast ein Objektiv in Janinas Suppe fallen lassen, wenn nicht Nashashuk Ziegler noch schneller als Lucky Luke reagiert hätte. Und dass Linda heimlich die Sitzordnung nachkorrigiert hat, so, dass sie nun zwischen Wiese und Schnitzki am Normalo­tisch sitzt, will mir auch überhaupt nicht gefallen. Die beiden Testosteronbolzen können jetzt ja gar nicht mehr anders, als einen gigantischen Balzwettbewerb um sie zu starten.
    Aber der wichtigste Grund, warum mir die Suppe nicht schmecken will, ist mal wieder Frau von Weckenpitz. Sie kauert mit Jil an einem Stehtisch in einer Wandnische direkt hinter mir und kommentiert das Geschehen. Jil soll ja schließlich was lernen.
    »Wenn ich mir das hier betrachte, weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, Kindchen. Nehmen wir nur mal dies Mädchen dort. Schauen Sie nur, das sind Plastik­ohrringe aus dem Kaugummiautomaten. Und die trägt sie auf einer Hochzeit! Mit ihrer Mutter würde ich wirklich gern mal ein Wörtchen reden.«
    Dass Sinja, das Mädchen mit den Plastikohrringen, in Hörweite sitzt, kümmert sie ebenso wenig wie dass Jil bestimmt Hunger hat. Aber Jil sagt weiter tapfer alle zehn Sekunden »Ja, Frau von Weckenpitz« und leidet stumm. Eine Märtyrerin. Sie nimmt das alles auf sich, nur um diese vermaledeite Hochzeit ein klein wenig erträglicher zu machen. Wenn ich ihr wenigstens ein Stück Brot zustecken könnte. Und wenn ich sie …
    »Und schauen Sie sich ihre Haare an. Ich möchte nicht wissen, wann die zum letzten Mal eine Bürste gesehen haben. Mit Ihren Haaren müssen Sie übrigens auch unbedingt etwas machen, Kindchen. Gegen Locken kann man zwar nichts tun, aber das sieht mir doch viel zu ungezähmt aus bei Ihnen. Und wo wir gerade dabei sind, Ihre Augen liegen viel zu tief in den Höhlen. Die müssen Sie mehr hervorheben. Da hilft nur ein kräftiger Lidstrich. Und, wenn ich Ihnen das sagen darf, achten Sie ein wenig mehr auf Ihre Linie, Kindchen. Sie haben keine langen Beine wie ich, da ist es umso wichtiger, dass sie wenigstens schlank sind.«
    »Ja, Frau von Weckenpitz.«
    »Keine Ursache.«
    Ich koche vor Wut. Sie soll aufhören, auf meiner wunderbaren Löwenzahndame herumzutrampeln! Meiner wunderbaren Löwenzahndame? Ach ja, schön wärs. Im Moment fühle ich mich nicht wie ihr künftiger Geliebter, sondern wie einer, der sie abgrundtief enttäuscht hat. Wir hatten uns so viel vorgenommen, aber die Einzige, die hier wirklich was schafft, ist sie. Aber warum müssen es uns auch alle so schwermachen? Ihr Blick streift meinen. Sie sieht traurig aus. Unendlich traurig. Rachevisionen wabern durch meinen Kopf. Ich sehe mich vor einer schweren Panzertür stehen. Hinter der Panzertür habe ich Frau von Weckenpitz und Diethart Füllkrug zusammen in einen leeren Raum gesperrt. Ich pfeife ein Liedchen und warte. Irgendwann wird es einen großen Knall geben, und die beiden Monster haben sich gegenseitig neutralisiert. Vielleicht sollte ich das wirklich machen.
    »Und jetzt sehen Sie sich das einmal an, Kindchen. Luftballons. Das hier ist der berühmte historische Grüne Saal von Schloss Walchenau. Eine Augenweide für jeden Kunstkenner. Aber nein, diese Kreatur da drüben meint, sie müsse bunte Luftballons aufhängen. Ich frage mich, was in ihrem Kopf vorgeht.«
    Ausnahmsweise frage ich mich gerade das Gleiche. Die Kreatur ist nämlich niemand anderes als Tante Otti. Und wenn Tante Otti eine Schnur spannt und bunte Luftballons daran aufhängt, dann hat das einen Grund. Und auch wenn ich den Grund noch nicht kenne, ich habe jetzt schon Angst davor. Und als bräuchte ich noch einen Verstärker für meine böse Ahnung, höre ich, wie draußen starke Windböen mit Schmackes die ersten Regentropfen gegen die Scheiben schleudern.

Sind das überhaupt
noch Menschen?
    Es ist noch schlimmer, als ich dachte. Meine Augen sind weit aufgerissen, und meine Hände umklammern die Tischkante. Stellt euch vor, ihr seid Braut oder

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