Hauptsache, es knallt!
Jil?«
Wieder das scharfe Zischen. Mehrfach. Drei Raketen sausen gleichzeitig empor.
»Nashashuk? Nein, keine Ahnung.«
»Habs gerade nachgeschaut: Lauter Donner.«
»Haha! Na, eigentlich mehr Blitz, oder?«
Und als hätte die Rakete das gehört, spuckt sie auf einmal bizarr geformte bunte Blitze in alle Richtungen aus. Jil und Patrick strahlen sich an. Im Hintergrund sehe ich, dass Janina und Markus mitten auf der Lichtung stehen geblieben sind. Beide schauen kurz nach oben in die Blitze. Dann schauen sie sich lange in die Augen. Sie reden jetzt nichts mehr.
»Und ›Namida‹ habe ich auch gerade nachgeschaut, Jil.«
»Und?«
»Sternentänzerin.«
»Oooh, wie schön!«
Die Blitze verschwinden, und es wird wieder dunkel. Los, Patrick, du musst sie jetzt küssen. Es ist der perfekte Moment. Und ich habe es dann endlich hinter mir. Wirklich, ich sollte schauen, dass ich Land gewinne. Einfach zu Fuß die sechzig Kilometer nach Hause laufen, das wäre wahrscheinlich das Angenehmste, was ich jetzt tun könnte. Aber ich bin dazu verdonnert, stehen zu bleiben und alles aus nächster Nähe mitzukriegen. Jils rechte Schulter stupst wie zufällig an Patricks mächtige linke Schulter. Das ist zu viel. Ich kriege einen Kloß im Hals. Jetzt bloß nicht zu weinen anfangen. Gleich preschen die nächsten Feuerdinger in den Himmel, und alle können sehen, dass ich …
Zisch, zisch. Sing, sing.
»Aaaaaaaaaaaaa!«
Schon gut. Ist halt blöd für mich gelaufen. Aber das bedeutet ja im Großen und Ganzen nicht mehr als ein Häuflein Bohnen, hat Bogart schon richtig gesagt. Und dass ich mein »Ich seh dir in die Augen, Kleines« nicht abwerfen konnte, geschenkt. Muss ja auch nicht. Ein Indianer leidet schweigend. Und ich brauche ja nur zu Markus und Janina hinsehen, dann ist selbst für mich alles nur noch halb so schlimm. Sie liegen sich in den Armen und küssen sich. Und ein Küssen ist das, das hat rein gar nichts mehr mit den Küssen vor dem Standesamt und in der Kirche zu tun. Die haben alles rund um sich herum vergessen.
Und jetzt die beiden letzten Raketen. Als hätten sie verstanden und wollten alles noch einmal so richtig verstärken, bilden sich hoch am Himmel über uns zwei goldene Ringe, die sich ineinander verschränken. Nashashuk stößt einen Juchzer aus. Das mit den Feuerringen probiert er heute anscheinend zum ersten Mal. Namida und Sinja fallen ihm begeistert um den Hals. Besser hätte es wohl wirklich nicht klappen können. Janina und Markus haben heute geheiratet und sind glücklich! Diese Botschaft steht in diesen Momenten übergroß an den Himmel gemalt und wird nie wieder vergessen. Und auf Erden sehen wir das Paar fünfzig Meter von uns entfernt im Schlamm stehen, doch in ihren Köpfen sind sie ganz weit weg. Fast hätte ich gesagt an einem besseren Ort, aber, ehrlich, ich glaube, in diesem Moment gibt es für sie gar keinen besseren Ort auf der Welt als die schlammige Lichtung im Walchenauer Forst.
Und so ein Kuss wie der, den Janina und Markus sich gerade geben, vor dem hat man natürlich Respekt. Wir sehen alle zu, aber keiner muckst sich. Wir versuchen so zu tun, als wären wir Luft. Selbst Patrick und Jil turteln nicht mehr. Nur die Russen singen weiter mit ihren Zauberstimmen ihre zärtlichen Weisen, und ihr Atem scheint genauso unerschöpflich wie die Liebe unseres Brautpaars. Und ich komme mir wirklich vor wie ein Ketzer, aber irgendwann frage ich mich, wie man aus so einem Happy End wieder in die normale Zeit hineinkommt, wenn man nicht einfach von oben »Ende« ins Bild schweben lassen kann. Es eilt nicht, natürlich nicht, aber im echten Leben geht es immer irgendwann weiter. Der Athlet ist glücklich über seine Goldmedaille, aber irgendwann geht es weiter. Der alte Mann umarmt seinen verschollen geglaubten Zwillingsbruder, den er nach vierzig Jahren wiedersieht, aber irgendwann geht es weiter. Und der Surfer gleitet lächelnd auf der tollsten Welle, die er je gesehen hat, aber auch sie rollt ans Ufer, und danach geht es weiter.
Während ich noch grüble, sehe ich, wie Bülent dem singenden Vladimir etwas ins Ohr flüstert. Und wenig später fängt Vladimir an, eine neue Melodie zu singen. »Ain’t no Sunshine when she’s gone«. Seine Kollegen sind höchstens eine Millisekunde überrascht, dann ziehen sie sofort mit. Jeder kennt das Lied. »Ain’t no Sunshine when she’s gone« . Mehrstimmig. Und der Mann mit der tiefsten Stimme simuliert mit »Pom-pom-pom« den Bass.
Weitere Kostenlose Bücher