Hauptsache, es knallt!
hinterherwinken und dazu »Muss i denn zum Städele hinaus« singen. Was kann ich machen? Wenn ich nur nicht …
»Oooooooooooh!«
»Alle mal herhören, Jil und ich laden euch herzl…«
»Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!«
Wie lange werden Nashashuk und Sinja die Leute mit ihren Raketen noch so in den Bann ziehen können, dass sie nicht auf die beiden durchgeknallten Gören hören? Ich schiele zur Lichtung und versuche zu schätzen, wie viel Munition noch in der Kiste ist. Aber selbst wenn es noch für etliche Minuten reicht, was bringt uns das? Jil und Henriette warten wie zwei gierige Hyänen auf den richtigen Moment. So wie Füllkrug und Otti vorhin mit dem Bananentanz.
Doch heute ist wirklich ein besonderer Tag. Und weil das so ist, geschieht nun schon wieder ein Wunder. Diesmal kein Auto, das über den Schotter schleudert und die Ausfahrt blockiert. Nein, was viel Feineres, viel Angenehmeres. Vladimir und seine Freunde sind ergriffen von dem wunderbaren Feuerwerk und fangen an zu singen. Natürlich hat an diesem Tag schon ein paarmal jemand angefangen zu singen. Und bisher wurde jedes Mal, wenn einer angefangen hat zu singen, alles noch schlimmer. Aber was die Russen anstimmen, hat nichts mit »Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse« oder gar »Lieschen, Lieschen« zu tun. Es ist genau das andere Ende der Skala. Wenn »Lieschen, Lieschen« das Lied ist, das man in der Eingangshalle der Hölle spielt, dann ist das Lied der Russen das, das man in dem Moment hört, wenn Petrus einen durchgewunken hat. Nie hätte ich gedacht, dass diese grobschlächtigen Kerle solches Gold in den Kehlen haben. Man kann es nicht beschreiben, man muss es gehört haben. Jedenfalls, wenn die Leute schon von Nashashuks Feuerwerk hin und weg waren, dann sind sie jetzt hin, weg, aus, vorbei und völlig vorüber, so schön ist das alles. Kein Mensch hört mehr auf Jil und Henriette. Und selbst wenn, es wäre egal, denn die beiden sagen nun auch gar nichts mehr. Alle sind aufgestanden und hören und gucken. Stumm und ergriffen.
Immer wenn eine neue Rakete startet, werden wir in Licht getaucht. Und mit jeder Lichtflut zeigt sich eine Momentaufnahme der Ereignisse rund um mich herum. Und auch wenn ich gerade noch recht verzweifelt war, schöpfe ich nun mit jeder neuen Momentaufnahme mehr Hoffnung. Ich sehe, wie Janina den zerzausten, zitternden Markus am Ärmel zieht. Sie waten durch den Schlamm auf die Lichtung. Dann ist es wieder dunkel. Der Russengesang schwillt an. Sie halten einen endlos langen Akkord und gehen dann nahtlos in eine wunderbare Melodie über, als hätten sie seit Kindertagen nichts anderes getan, als miteinander zu singen. Jil und Henriette bleiben weiter stumm, wie alle anderen auch. Nur von etwas weiter weg höre ich, dass Janina leise mit Markus spricht. Die Paderborn-Beichte! Mein Herz fängt an zu hüpfen.
Als die nächste Rakete hochsteigt, halten die Russen wieder mit ihrem unendlich scheinenden Atem ihren Akkord. Erst als das Geschoss hoch am Himmel zerplatzt und Dutzende sich blitzschnell drehender Spiralen aussendet, die wie ein Schwarm kleiner leuchtender Ufos langsam auf die Erde niedersinken, nehmen sie den Melodiefaden wieder auf. Kein Filmkomponist hätte die Szene besser vertonen können. Im Lichtschein sehe ich wieder Janina und Markus, die sich inzwischen noch weiter von uns entfernt haben. Weder die Dunkelheit noch der Schlamm kümmern sie. Janina hat Markus den Arm um die Hüfte gelegt und redet immer noch mit ihm. Sie sehen sich beim Gehen an. Ich höre keine Worte, aber die beiden bewegen sich nicht nur vorwärts, in ihnen bewegt sich auch etwas. So was sieht man bei guten Freunden, selbst wenn sie weit weg stehen und nur für ein paar Sekunden von Nashashuks Feuerzauber beleuchtet werden.
Die fliegenden Spiralen sind nun ausgebrannt, und die Russen singen wieder in die Dunkelheit hinein. Wir warten und lauschen. Ich lehne mich an einen Baum. Wie ein alter Waldindianer. Und einfach nur für immer als einsamer Waldindianer in seinem friedlichen Wald herumzustehen und in Ruhe gelassen zu werden, kommt mir im Moment wie ein sehr erstrebenswertes Ziel vor, keine Ahnung warum. Vielleicht, weil ich gerade den mächtigen Schattenriss von Patrick neben Jil auftauchen sehe. Halten die beiden etwa Händchen? Bei dem Gesang kann man doch gar nicht anders, als Händchen zu halten. Aber ist schon okay, wirklich.
Ich höre sie flüstern.
»Weißt du, was ›Nashashuk‹ auf Indianisch bedeutet,
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