Hauptsache Hochzeit
Ursache. Und, wollen Sie trotzdem noch in die Wohnung? Ich kann die Vermieterin bestimmt rumkriegen, dass Sie reindürfen. Ihre Mutter hat sie schließlich noch für eine ganze Woche gemietet.«
Ich wollte zuerst den Kopf schütteln, überlegte es mir dann aber anders. Wenn ich meine Mutter ein zweites Mal verloren hatte, wollte ich wenigstens wissen, wie sie gelebt hatte. »Das wäre nett, danke schön«, sagte ich.
Der Mann, der sich dann als Henry Darlington vorstellte, konnte die Vermieterin mühelos überreden, mich in die Wohnung meiner Mutter einzulassen. Nachdem ich mich bei ihm und der Vermieterin herzlich bedankt
hatte, schloss ich die Wohnungstür hinter mir und sah mich um.
Ein Schlafzimmer, ein kleines Wohnzimmer mit Kochnische, ein Badezimmer. Die Wohnung war vollkommen ausgeräumt worden, und die Räume erwarteten neutral ihren nächsten Bewohner, ihre nächste Geschichte. Ich weiß nicht, was ich mir erhofft hatte – einen Hinweis vielleicht, eine Nachricht -, aber nichts wies mehr auf meine Mutter hin. Außer vielleicht einem schwachen Parfumduft – aber den konnte ich mir auch eingebildet haben.
Ich sank in einen der Sessel im Wohnzimmer und stützte das Kinn in die Hände. Sie war verschwunden.
Dann wurde ich wütend. Sie war einfach so verschwunden? Ohne sich zu verabschieden und mir zu sagen, wo sie hinfuhr? Was hatte sie sich dabei nur gedacht? Wie konnte sie es wagen? Als ich noch klein und hilflos war, konnte sie das mit mir machen, aber jetzt doch nicht mehr!
Ärgerlich stand ich auf und tigerte im Zimmer auf und ab. Spanien oder Amerika. Sie würde also in jedem Fall fliegen. Aber von wo? Wenn sie in die Staaten flog, schieden die kleinen Flughäfen aus. Spanien dagegen… Sie konnte überall sein. Es gab Flughäfen für alle Himmelsrichtungen. Ich konnte bei den Fluggesellschaften anrufen, aber die würden mir rein gar nichts sagen. Die Situation war aussichtslos. Und brachte mich in Rage.
Dann fiel mein Blick auf etwas. Nur ein zerknülltes Stück Papier im Papierkorb, aber immerhin etwas. Ich fischte es heraus und faltete es auf. Und boxte vor Freude in die Luft. Das Papier verriet mir nicht ihr Reiseziel, aber den Kauf eines Tickets für den Heathrow Express.
Das bedeutete, dass sie jetzt vermutlich an der Paddington Station zu finden war. Ich schaute auf meine Uhr: In zwanzig Minuten fuhr ihr Zug ab.
Ich sprang auf, raste hinaus und hechtete mich vor der Haustür in ein Taxi, das dort wartete.
»Paddington«, keuchte ich. »So schnell wie möglich.«
»Ihr Zug fährt gleich, wie?«, fragte der Taxifahrer grinsend und drehte sich zu mir um.
»So ähnlich.« Ich lächelte angespannt. »Und wenn Sie jetzt bitte losfahren würden.«
»Hast bringt nur Verdruss«, verkündete der Fahrer. »Sie kennen doch bestimmt die Geschichte vom Hasen und der Schildkröte, oder?«
»Bitte«, sagte ich flehentlich. »Ich muss unbedingt meine Mutter treffen, und die steigt in zehn Minuten in einen Zug, und …«
»Und Sie wollen sich noch verabschieden?«, fragte der Fahrer. »Das ist aber nett von Ihnen. Na, dann wollen wir uns mal ein bisschen beeilen, wie?«
Ich nickte dankbar, und der Wagen schoss los und bog in eine Seitenstraße ab.
»Sind Sie… auch ganz sicher, dass das der richtige Weg ist?«, fragte ich vorsichtig.
»Warten Sie’s nur ab.« Der Fahrer zwinkerte mir im Rückspiegel zu. »Auf welchem Gleis fährt der Zug ab?«
Ich schaute auf den Zettel. »Äm, weiß ich nicht. Das steht hier nicht. Nur, dass es der Heathrow Express ist.«
»Heathrow Express? Na, das ist doch ein Kinderspiel.«
Der Wagen raste eine weitere Seitenstraße entlang und schoss dann durch etwas, das wie die Zufahrt zu einem
Parkplatz aussah. »Sind wir … sind wir schon in der Nähe?«
»In der Nähe? Viel besser: wir sind schon da.«
Der Wagen hielt mit quietschenden Reifen, und wir befanden uns wahrhaftig bereits im Bahnhofsbereich, gleich neben dem Gleis, auf dem der Heathrow Express abfuhr. Ich warf dem Fahrer Geld hin, bedankte mich hastig und rannte los. Auf dem Gleis sauste ich an dem wartenden Zug entlang und schaute in jedes Fenster. Ich musste sie finden. Sie musste einfach noch da sein.
Und dann entdeckte ich sie. Zuerst erkannte ich sie kaum – sie hatte den Chignon durch einen Pferdeschwanz ersetzt, der sie jünger, aber auch verletzlicher wirken ließ. Sie war alleine und las ein Buch. Ich stieg in den Zug und lief durch die Reihen, bis ich sie gefunden hatte.
»Mam?« Sie
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