Hauptsache Hochzeit
hörte mich offenbar nicht. Ich räusperte mich und sagte lauter: »Mam?«
Diesmal schaute sie auf und starrte mich mit offenem Mund an. »Jessica? Jessica, was um alles in der Welt machst du hier?«
»Mam, wo willst du hin?«
Sie blickte unter sich. »Jessica, ich muss weg von hier. Es tut mir leid, dass ich es dir nicht gesagt habe, aber in dieser Situation hielt ich es für das Beste.«
Ich nickte und setzte mich ihr gegenüber. »Was eben diese Situation betrifft.«
»Jessica«, sagte meine Mutter entschieden. »Du hast wahrlich wichtigere Dinge zu bedenken als meine Situation. Max zum Beispiel. Bei dem du jetzt auch sein solltest.«
»Warum willst du nicht sagen, wo du hingehst?«
»Das werd ich schon noch tun«, antwortete sie. »Wenn ich dort bin, sage ich dir Bescheid, und dann kannst du mich besuchen kommen. Und wir können … endlich mal ausführlich reden und Zeit zusammen verbringen.«
Ich nickte langsam. »Du läufst schon wieder weg, das weißt du, oder?«
»Jessica, mach das jetzt bitte nicht. Ich möchte dich nicht verlassen, wirklich, aber …«
»Aber du musst, oder?«, fragte ich und sah sie forschend an. »Mam, was ist mit dem Geld passiert, das ich dir gegeben habe?«
Sie wurde blass. »Du bist wegen dem Geld hier?«
»Nein. Ich möchte bloß wissen, was daraus geworden ist.«
»Es … nun, ich fürchte, ich habe es nicht mehr. Du hast gesagt, ich könnte… ich meine…« Sie sah mich ängstlich an. »Ich werde mich revanchieren, Jess. Bei dir und Max, für eure Großzügigkeit. Ich weiß das wirklich zu schätzen …«
Ihre Lippen zitterten, und ich nahm ihre Hand. »Mam, sag mir einfach, was du damit gemacht hast. Mehr will ich doch gar nicht.«
»Ich habe es verbraucht. Wie ich angekündigt habe«, sagte sie und wich meinem Blick aus. »Ich habe meine Schulden abbezahlt.«
»Und nun läufst du trotzdem wieder davon.«
»Jessica, du musst jetzt aussteigen. Der Zug fährt gleich los, und du hast keine Fahrkarte.«
»Dann kaufe ich mir eben eine«, erwiderte ich. »Beantworte jetzt bitte meine Frage.«
»Frage?« Ihre Stimme klang matt.
»Das Geld. Du hast deine Schulden gar nicht abbezahlt, oder?«
»Ich … ich … Ja. Ich meine, doch. Ich …« Sie brach ab, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Ich lehnte mich zurück. »Du hast für mich deine einzige Chance auf Glück vertan«, sagte ich leise. »Du hättest deine Schulden abbezahlen, Chester heiraten und ein schönes Leben führen können.«
»Ich weiß nicht, was du meinst«, erwiderte sie. »Chester hat mich verlassen, nicht ich ihn.«
»Weil er verletzt war. Du hast ihm wehgetan. Du hast gesagt, dass du mit Hugh geschlafen hast. Und den Typen hast du sogar noch dafür bezahlt, dass er dieses Szenario mitspielt, oder? Daher hat er das ganze Geld, nicht wahr? Das stimmt doch, oder?«
Meine Mutter sah mich mit großen Augen an. »Wie?«, sagte sie und räusperte sich. »Wie meinst du das?«
»Bitte, Mam, es reicht jetzt mit dem Theater. Ich weiß Bescheid. Ich weiß, was du getan hast. Du hast die Schuld auf dich genommen, vermutlich weil du meinen Brief gelesen hast oder so – das weiß ich nicht genau. Und ich habe auch keine Ahnung, wie du Hugh aufgespürt hast. Aber ich habe recht, oder? Du hast gar nicht mit ihm geschlafen. Er wusste nicht, dass du eine große Narbe am Bauch hast, und Chester hast du gesagt, Hugh würde in Kensington wohnen, dabei wohnt er in Kennington.«
Meine Mutter sah wortlos zu, wie sich die Türen schlossen. Der Zug rollte langsam aus dem Bahnhof.
»Und er ist schwul.«
»Schwul?« Meine Mutter riss die Augen auf.
»Total.«
»Ah«, sagte sie. »Verstehe.«
»Warum hast du das gemacht?«, bedrängte ich sie weiter. »Das verstehe ich nicht.«
»Nein?« Sie lächelte, und ihre Augen glänzten. »Stell dir doch mal vor, wie sich das anfühlt, seine Tochter verraten zu haben. Zu wissen, dass es unverzeihlich ist, was man getan hat – dass man nur noch Hass oder Misstrauen verdient hat. Und dann stell dir vor, dass man die Gelegenheit bekommt, etwas wiedergutzumachen, wenigstens ein bisschen. Hättest du diese Chance dann nicht genutzt, Jessica?«
Ich starrte sie an. »Deshalb hast du das also getan?«
Meine Mutter zuckte die Achseln. »Nicht nur deshalb. Ich bin deine Mutter. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich die Chance gesehen, etwas für dich zu tun, dich zu beschützen und etwas heil zu machen.«
»Aber … aber …«, stammelte ich verblüfft.
»Kein Aber,
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