Hauptsache Hochzeit
vor einigen Wochen gesagt, als ich ihm etwas per Boten zukommen lassen musste. Bei Jarvis, wo Hinz und Kunz seine Korrespondenz las, konnte ich ihm keinen Brief hinterlassen. Aber bei ihm zuhause.
Chesters Privatwohnung war also mein nächstes Reiseziel. Ich fuhr mit der Subway nach Bayswater und kaufte dort in einem Schreibwarenladen Briefpapier, einen Umschlag und einen Stift. Dann setzte ich mich in ein Café, bestellte mir einen Kaffee, ein riesiges Croissant und Wasser (durch die unrühmliche Episode bei Jarvis war mir erst bewusst geworden, was eine halbe Flasche Wein anrichten kann, wenn man sie sich auf nüchternen Magen zu Gemüte führt; jetzt tat nämlich mein Kopf weh, ich hatte einen trockenen Mund und fühlte mich so unangenehm schwächlich wie nach einer durchsoffenen Nacht) und machte mich daran, einen Brief zu verfassen – den wohl wichtigsten Brief, den ich in meinem ganzen Leben geschrieben hatte.
Und als er fertig war, als ich ihn an die fünfzig Mal umgeschrieben
und schließlich in eine Form gebracht hatte, in der er mir nicht zu lang und reuevoll, dabei aber auch nicht zu kitschig, zu gefühlsbetont und auf keinen Fall zu rührselig vorkam; als ich den Eindruck hatte, dass ich überzeugend darstellen konnte, warum man jeglichen Kontakt mit Hugh Barter abbrechen und Projekt Handtasche wieder Milton Advertising – mit Max als Geschäftsführer und Caroline als exzellenter Kontakterin – anvertrauen sollte, faltete ich den Brief zusammen, steckte ihn in den Umschlag und spazierte zur Hereford Road 23, wo ich ihn durch den Briefschlitz in der Tür steckte. Dann wandte ich mich zum Gehen. Wenn ich zuhause war, wollte ich Max sagen, dass ich ihn liebte und dann meine Sachen packen und aus seinem Leben verschwinden, damit er – ohne mich – eine schönere Zukunft haben und es genießen konnte, dass seine Agentur und sein Ruf wieder intakt waren.
In diesem Moment ging hinter mir die Tür auf, und jemand sagte: »Jess? Jessica, bist du das? Ich hatte doch gedacht, dass ich jemanden gehört habe. Wieso hast du mir nicht gesagt, dass du kommst?«
Ich wandte mich überrascht um. Meine Mutter stand in der Tür. Das gehörte nicht zu meinem Plan. Ganz und gar nicht.
»Oh, hi«, sagte ich unsicher und hob den Brief auf, der auf den Fußabtreter gefallen war. »Ich hatte nicht gedacht, dass du…« Ich räusperte mich. »Äm, ich wollte nur… weißt du, ich wollte hier nur diesen Brief für Chester abgeben.«
»Ein Brief?« Meine Mutter nahm den Brief mit fragender Miene entgegen. »Du bist so weit gefahren, nur um diesen Brief abzugeben?«
Ich nickte nervös.
»Kommst du wenigstens auf eine Tasse Tee rein?« Sie hielt die Tür auf.
Ich biss mir auf die Lippe. »Das geht leider nicht. Ich muss los. Max suchen.«
»Wieso suchen? Hast du ihn verloren?«
Diese Worte gingen mir durch Mark und Bein. Bislang hatte ich mir das nicht eingestanden, aber es war ja tatsächlich so, dass ich ihn verloren hatte. Tränen stiegen mir in die Augen. »Irgendwie schon.« Ich nickte, wollte nicht weitersprechen, konnte mich aber nicht bremsen. »Er… macht grade wirklich eine schwere Zeit durch. Was meine Schuld ist. Darum geht es auch in dem Brief. Sorgst du bitte dafür, dass Chester ihn wirklich bekommt?«
Ich wandte mich erneut zum Gehen, aber meine Mutter hielt mich am Arm fest. »Er kommt bald nach Hause. Warte doch einfach hier auf ihn und trink ein Tässchen Tee mit mir. Wir sind doch nie richtig zum Reden gekommen, oder?«
»Nein«, erwiderte ich und löste mich von ihr. »Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt dafür.«
»Stimmt«, sagte sie bedrückt. »Ist wohl nicht zu ändern.«
Ich sah sie an. »Schau, für dich scheint doch alles ganz gut zu laufen. Du hast Chester und findest ein Zuhause. Ich kann nur nicht… ich kann nicht daran teilhaben. Das ist alles.«
»Es tut mir leid, Jessica«, sagte sie mit einem traurigen Lachen und streckte erneut die Hand nach mir aus. »Das sage ich wohl ziemlich häufig zu dir, wie? Aber es tut mir wirklich leid. Ich wollte mich nicht zwischen dir und Chester entscheiden, aber …«
»Aber du hast es getan«, erwiderte ich knapp. »Und er war wohl auch die bessere Wahl.«
»Ich habe versucht, ihn zur Vernunft zu bringen«, sagte sie leise. »Du bist schließlich meine Tochter. Wir sollten Zeit zusammen verbringen, unsere Hochzeiten gemeinsam planen. Ich habe ihm gesagt, dass …«
Ich starrte sie ungläubig an. »Hochzeiten planen? Du hast es
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